Rachenacht: Ein Alex-Delaware-Roman (German Edition)
gepflegt aus und sprach nie von Wahnvorstellungen oder Halluzinationen.«
»Wer hat ihn überwacht?«
»Die Pfleger.«
»Eine bestimmte Person?«
»Nein.«
»Sagt Ihnen der Name Pitty oder Petty etwas?«
»Ich kannte die Namen des Pflegepersonals nicht. Wieso?«
»Dieser Name ist aufgetaucht.«
»Im Zusammenhang mit?«
»Einem Mord.«
»Dem an Quigg?«
»Ja«, log ich.
Cahane machte große Augen. »Ein mörderisches Team ?«
»Wäre denkbar.«
»Pitty Petty«, sagte er. »Nein, der Name sagt mir nichts.«
»Was passierte mit dem Jungen, als die Klinik geschlossen wurde?«
»Zu der Zeit war ich nicht mehr dort.«
»Haben Sie nicht irgendeine Ahnung?«
»Ich lebte in einer anderen Stadt.«
»Miami?«
Er tastete nach seinem Glas, bis ihm einfiel, dass er es weggeschleudert hatte. Dann presste er die Augenlider zu, als litte er Schmerzen, öffnete sie wieder und starrte mich an. »Wie kommen Sie darauf?«
Ich sagte: »Gertrude ist nach Miami gezogen, und es ist schon häufiger vorgekommen, dass Männer bildschönen, hochintelligenten Frauen nachgefolgt sind.«
»Gertrude«, sagte er. »Hat sie mal von mir gesprochen?«
»Nicht namentlich. Aber sie hat erwähnt, dass sie sich verliebt hatte.«
Noch eine Lüge, unverfroren, berechnend. Doch der Zweck heiligt bekanntlich die Mittel.
Emil Cahane seufzte. »Nein, ich kam hierher nach L. A. Erst ein Jahr später bin ich zu ihr nach Miami gefahren. Unangekündigt. In der Hoffnung, sie wäre immer noch Single. Ich schüttete ihr mein Herz aus, aber sie ließ mich abblitzen. Was wir gehabt hätten, sei wunderschön gewesen, sagte sie, aber es sei Vergangenheit und nicht mehr wiederzubeleben. Ich war am Boden zerstört, gab mich jedoch tapfer und nahm das nächste Flugzeug zurück hierher. Unfähig, mich hier richtig einzuleben, zog ich nach Colorado und nahm einen Job an, der zwar gut bezahlt, aber inhaltlich unbefriedigend war. Nach kurzer Zeit kündigte ich wieder und suchte mir eine neue Stelle. Es brauchte vier Jobwechsel, bis mir klar wurde, dass ich im Grunde nur noch ein Verschreibungsroboter war. Ich beschloss, von meiner Rente zu leben, und verkaufte einen Großteil dessen, was ich besaß. Meine Großzügigkeit nahm solche Formen an, dass ich jetzt sparen muss. Daher dieses Luxusapartment hier.«
Er lachte. »Einmal Narziss, immer Narziss. Ich kann nicht anders, als zu protzen.«
Ich sagte: »Was meinen Sie, wohin der Junge kam, nachdem V-State geschlossen wurde?«
»Viele der Patienten aus der Geschlossenen wurden in andere Einrichtungen transferiert.«
»Welche?«
»Atascadero, Starkweather. Manche kamen wahrscheinlich auch ins Gefängnis. So ist unser System. Es geht immer ums Bestrafen.«
»Helfen Sie mir mit dem zeitlichen Ablauf«, bat ich. »In welchem Jahr kam der Junge nach V-State?«
»Vor etwas mehr als fünfundzwanzig Jahren.«
»Mit elf.«
»Knapp zwölf.«
»Wie lange war er in der offenen Abteilung?«
»Ein Jahr und ein paar Monate.«
»Er war also dreizehn, als er operiert wurde.« Genau die Zeit, als Marlin Quigg die Klinik verlassen und seine Lehrerlaufbahn aufgegeben hatte.
Hatte ihn das, was er hinter dem Schuppen beobachtet hatte, so mit Entsetzen erfüllt, dass er den Beruf wechselte? Oder bereute er seine Verdächtigungen, nachdem er gesehen hatte, wohin sie führten?
Auf jeden Fall hatte er einen hohen Preis bezahlt.
Ich sagte: »Wie war der Name des Jungen?«
Cahane wandte sich ab.
»Doktor, ich brauche einen Namen, bevor weitere Menschen sterben.«
»Ich zum Beispiel?«
Einmal Narziss, immer Narziss.
»Schon möglich.«
»Machen Sie sich um mich keine Sorgen, Dr. Delaware. Wenn Sie damit recht haben, dass er Quigg aus Rache getötet hat, sehe ich für mich keinerlei Gefahr. Schließlich hat Quigg den Ball ins Rollen gebracht, ohne Quigg wäre alles andere gar nicht passiert. Ich dagegen habe mein Möglichstes getan, um dem Jungen zu helfen, und das hat er auch gewusst.«
»Sie haben ihm ein hübsches Zimmer eingerichtet.«
»Eine sichere Umgebung, die ihn gegen die anderen Patienten abschirmte.«
»Dass er Ihnen dafür dankbar war, das wissen Sie, weil …«
»Er sich bei mir bedankt hat.«
»Wann?«
»Als ich ihm gesagt habe, dass ich gehe.«
»Wie alt war er da?«
»Fünfzehn.«
»Zwei Jahre in der Geschlossenen.«
» Technisch gesehen , ja«, sagte er. »Aber faktisch hatte er so etwas wie eine eigene Privatstation. Er hat sich bei mir bedankt, Dr. Delaware. Es gäbe für ihn keinen
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