Rachenacht: Ein Alex-Delaware-Roman (German Edition)
Anlass, mir Schaden zuzufügen.«
»Das würde ein gewisses Maß an rationalem Denkvermögen voraussetzen.«
»Haben Sie denn konkrete Hinweise darauf, dass ich in Gefahr sein könnte, Dr. Delaware?«
»Wir reden hier von einem hochgradig gestörten …«
Er verzog das Gesicht zu einem Grinsen. »Sie versuchen, mir Informationen zu entlocken.«
»Mit Ihnen hat es nichts zu tun«, sagte ich. »Er muss gestoppt werden. Geben Sie mir einen Namen.«
Ich hatte die Stimme erhoben und eine gewisse Schärfe hineingelegt.
Ohne erkennbaren Grund hellte sich Cahanes Gesicht plötzlich auf. »Alex, wären Sie bitte so nett und würden mal für mich ins Bad gehen? Ich glaube, ich habe meine Brille dort liegen lassen, und ich würde gern einen netten Nachmittag mit Spinoza und Leibniz verbringen. Da wir gerade von Vernunft sprachen.«
»Sagen Sie mir zuerst …«
»Junger Mann«, unterbrach er mich. »Ich mag es nicht, wenn ich nicht scharf sehe. Helfen Sie mir, mein Sehvermögen wiederherzustellen, dann können wir uns vielleicht noch etwas weiter unterhalten.«
Ich ging durch den Flur zum Badezimmer. Es war klein, und die weißen Fliesen waren schlampig verfugt. Über einer geriffelten Kunststoffduschwand hing ein fadenscheiniges graues Handtuch. Der Raum roch nach Pimentöl, billiger Seife und verstopftem Siphon.
Eine Brille war nirgends zu sehen.
Auf dem Spülkasten lag etwas Weißes mit abstehenden Ecken.
Ein Stück Papier, eine Art Origamitierchen mit schiefen Knicken, von unsicheren Händen gefaltet.
Eine ausgefranste Kante verriet, dass der Zettel aus einem Spiralblock stammte. Ich entdeckte den Block links von der Kommode in einem ramponierten Weidenkorb, der außerdem ein philosophisches Traktat und mehrere eselsohrige Exemplare des Smithsonian -Magazins enthielt.
Die Seiten des Blocks waren allesamt unbeschrieben.
Ich faltete den Zettel auf. Blockbuchstaben in schwarzem Kugelschreiber prangten mitten auf dem Blatt, schief durch mehrere zögerliche Unterbrechungen.
GRANT HUGGLER
(Der Junge voller Neugier)
Das Blatt in der Hand, eilte ich in Cahanes Wohnzimmer zurück.
Der große Ledersessel war verwaist. Cahane war nirgendwo zu sehen.
Links vom Badezimmer war eine geschlossene Tür.
Ich klopfte.
Keine Antwort.
»Dr. Cahane?«
»Ich muss schlafen.«
Ich drehte den Knauf. Verriegelt. »Gibt es noch etwas, das Sie mir sagen könnten?«
»Ich muss schlafen.«
»Danke.«
»Ich muss schlafen.«
31
Alex Shimoffs zweite Zeichnung kam in den Achtzehn-Uhr-Nachrichten. Ein gelangweilter Sprecher erwähnte den »Wintermantel« des Verdächtigen und eventuelle »Probleme mit der Schilddrüse«. Sendezeit insgesamt: zweiunddreißig Sekunden.
Ich hielt das Fernsehbild an. Die Zeichnung war absolut lebensecht. Breites Gesicht, gleichmütige Miene.
Es war der Mann, den ich im Bijou gesehen hatte, an dem Tisch in der Ecke, direkt neben den beiden Müttern mit ihren Babys.
Robin sagte: »Es sieht so leer aus. Als würde noch etwas fehlen. Vielleicht hatte Shimoff nicht genug Detailinfos.«
»Doch.«
Ein paar Dinge, die ich von Cahane wusste, hatte ich ihr bereits erzählt. Sie sah mich nur wortlos an.
Blanche studierte uns abwechselnd. Wir saßen einfach da.
Dann stand Robin auf, sagte: »Elf Jahre alt«, und ging aus dem Zimmer.
Von Milo war den ganzen Tag nichts zu hören oder sehen gewesen, erst eine Stunde nach den Fernsehnachrichten rief er an. Meine Suche nach Grant Hugglers Namen hatte sich als ergebnislos erwiesen.
Er sagte: »Hast du’s gesehen? Superfortschritt, oder? Seine Exaltiertheit hat ein paar Fäden gezogen, weil man – O-Ton – ›Scheiße umgraben muss, damit sie richtig stinkt‹. Immerhin haben wir jetzt ein kleines Kunstwerk, sogar Shimoff selbst ist zufrieden. Die Telefone fangen jetzt erst an zu blinken, bislang hatten wir weniger Anrufer als beim letzten Mal, vielleicht ist bei den Leuten die Luft raus. Moe Reed hatte jemanden dran, der einen interessanten Hinweis hatte. Eine anonyme Anruferin hat berichtet, dass ein Typ, auf den Lammfells Beschreibung passt, in einer Klinik in Hollywood ein Rezept für seine Schilddrüse bekommen hat; bevor Reed fragen konnte, in welcher Klinik, hatte sie aber schon aufgelegt. Hollywood passt zum Obdachlosen und bringt ihn in Lem Eccles’ Nähe. Alle Kliniken, die Petra angerufen hat, sind bis morgen geschlossen, aber sie bleibt dran, und wenn der liebe Gott einen guten Tag hat, haben wir bald einen Namen.«
»Der liebe Gott scheint
Weitere Kostenlose Bücher