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Rachesommer

Rachesommer

Titel: Rachesommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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Lauf fester gegen ihre Stirn. Klick! »Scheiße!«
    Sie hörte, wie das Magazin aus dem Griff glitt.
    »Das verdammte Ding ist leer«, brüllte Bolten.
    Pulaskis Stimme drang gedämpft zu ihr durch. »Die Kripobeamten in Göttingen haben mir die Patronen abgenommen.«
    »Sie betreten mein Haus mit einer ungeladenen Waffe?«, schrie Bolten. »Wie dämlich sind Sie eigentlich?« Die Pistole schlitterte über den Boden.
    »Dann werde ich sie eben mit meiner erledigen.«
    Sie hörte ein Geräusch. Zog er eine Waffe aus dem Hosenbund? Kurz darauf folgte das Klicken, mit dem er die Pistole entsicherte.
    »Tun Sie das nicht!«, rief Pulaski. Plötzlich klang Panik in seiner Stimme.
    Evelyn spürte, wie ihr erneut der Lauf einer Waffe an die Stirn gedrückt wurde.
    Pulaski zerrte an der Kette, doch die Bewegung war nur schwach. »Sie verdammter Scheißkerl! Tun Sie das nicht! Sie ist bloß eine Anwältin und hat nichts mit der Sache zu tun.«
    »Sie hat sehr wohl etwas damit zu tun«, flüsterte Bolten.
    Er presste ihr den Lauf fester an den Kopf.
    Evelyn wurde schwarz vor Augen, als sie das Zurückziehen des Schlittens und das gleichzeitige Klicken der Patrone hörte.
    »Alfons?«
    Plötzlich ließ der Druck nach. »Alfons?«, wiederholte die Stimme.
    Der verführerische, jugendliche Klang drang von der Treppe in den Keller herunter.
    Evelyn hörte ein Klimpern. Trotz ihrer Angst erkannte sie den norddeutschen Akzent.
    »Alfons? Komm zu mir!«
    Das Klimpern klang wie von Handschellen.
     
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    Evelyn spürte, wie Bolten den Lauf von ihrer Stirn nahm.
    »Wen habt ihr noch mitgebracht?«, zischte er.
    Evelyns Hirn funktionierte nicht mehr. Sie hörte nur, wie Bolten zutrat und Pulaski aufstöhnte.
    »Wen habt ihr noch mitgebracht?«, wiederholte Bolten.
    »Ich weiß es nicht, Arschloch!«, presste Pulaski hervor.
    Evelyn hörte Boltens Schritte. Dann krachte die Brandschutztür ins Schloss, und der Schlüssel drehte sich zweimal.
    »Evelyn?«, flüsterte Pulaski.
    Sie gab keine Antwort. Ihr Körper war vollkommen steif. Ihre Nackenmuskeln hüpften auf und ab, und ihr Magen verkrampfte sich in immer wiederkehrenden Wellen. Es nahm kein Ende.
    »Evelyn! Er ist weg. Hören Sie mich?« Komm zu mir!
    Wer hatte das gesagt? Sie selbst? War sie wieder das zehnjährige Mädchen in der Jagdhütte? Der Jutesack, die Fesseln und das Klebeband. Ihre Gedanken drifteten ab …
    »Evelyn?«
    Pulaskis Fuß traf sie am Oberschenkel. Sie zuckte zusammen.
    »Evelyn! Sie müssen mir helfen!«
    Kalter Schweiß lief ihr über den Rücken. Ihre Finger waren eiskalt und zitterten. Sie konnte sie kaum bewegen.
    »Er ist weg!«, rief Pulaski. »Wir sind in Sicherheit. Ziehen Sie sich den Sack vom Kopf.«
    Von Magenkrämpfen gepeinigt, versuchte Evelyn, die Arme zu heben. Sie bekam einzelne Fasern zu fassen und zerrte daran.
    Augenblicklich spürte sie, wie eine Welle Frischluft zu ihr vordrang. »Ja, gut so. Weiter!«
    Sie zerrte mit beiden Händen am Stoff, atmete tief durch und zog sich den Sack schließlich vom Kopf. Helligkeit. Sie öffnete die Augen und sah die Abenddämmerung hinter dem gekippten Kellerfenster. Sie füllte ihre Lungen mit Sauerstoff. Langsam löste sich der Krampf in den Schultern und angespannten Oberarmen.
    »Himmel, Evelyn! Was war bloß los mit Ihnen?«, fragte Pulaski.
    Sie wandte den Kopf, um etwas zu sagen, doch ihre Kehle war ausgetrocknet.
    »Sie sind total blass.« Pulaski starrte sie mit entsetztem Gesicht an. An seinem verzweifelten Blick sah sie, dass er Todesängste um sie ausgestanden hatte.
    Sie versuchte zu lächeln. »Alles in Ordnung.«
    »Das eben sah nicht danach aus.«
    »Was ist passiert?«, fragte sie.
    »Bolten hat uns eingeschlossen und ist raufgegangen. Es ist noch jemand im Haus.«
    »Sybil«, flüsterte sie.
    Im selben Moment hörten sie einen Schrei und das Poltern von Stühlen. Glas splitterte. Ein Körper wurde herumgerissen, ein Stuhl flog durch die Gegend, etwas kullerte die Treppe herunter. Dann ein neuerlicher Schrei und plötzlich Stille …
    »Evelyn, rasch! Sehen Sie sich um. Hinter dem Kessel muss meine Waffe liegen.«
    Sie erhob sich. Mit weichen Beinen wankte sie durch den Raum. Sie hielt sich an einem Rohr fest. Die Pistole lag neben dem Müllberg.
    »In meiner Gesäßtasche steckt das Reservemagazin. Legen Sie es in die Walther ein.« Erst langsam kam Evelyn wieder zu sich. Wie in Trance hob sie die Waffe auf, ging zu Pulaski und rollte ihn zur Seite. Sie fand das Magazin in seiner

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