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Rachesommer

Rachesommer

Titel: Rachesommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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zu schmächtig für die beiden kräftig gebauten Männer. Außerdem roch Evelyn ein Damenparfüm. Die Gestalt bewegte sich zaghaft, machte einen Schritt auf Evelyn zu und beugte den Kopf vor. Langes Haar fiel ihr über die Schulter.
    Evelyn traute ihren Augen nicht. War das etwa … Sybil? Im nächsten Moment drang der dumpfe Klang eines Klingeltons aus dem Raum neben ihr, durch dessen Türspalt das Licht fiel. Hastig unterbrach Evelyn die Verbindung. Im gleichen Moment erstarb das Läuten.
    Aus dem Augenwinkel sah Evelyn, wie die Frau ins Wohnzimmer verschwand. Sollte sie ihr folgen? Gehetzt sah sie sich um. Pulaski war wichtiger. Entschlossen drückte sie die Türklinke nieder.
    Der matte Schein einer Neonröhre blendete sie. Vor ihr führte eine enge Betontreppe steil in den Keller hinunter. Kurz darauf ging das Licht aus.
     
    60
     
    »Scheiße!«, zischte Evelyn. Sie steckte das Handy in die Jeanstasche, tastete mit den Händen nach der kahlen Betonwand und stieg die Stufen hinunter.
    Sie merkte, wie es kühler wurde. Es roch nach Kalk. Am Treppenende wurde es heller. Sie erreichte einen Vorraum, von dem mehrere schwere Brandschutztüren weiterführten. Eine davon war angelehnt. Trübes Tageslicht fiel durch den Spalt. Wer immer die Neonröhre im Keller ausgeknipst hatte, befand sich noch hier unten. Vorsichtig ging Evelyn auf die Tür zu und schob sie sachte mit dem Fuß auf. Zum Glück quietschten die Angeln nicht.
    Die Strahlen der untergehenden Sonne fielen durch die verschmierte gekippte Scheibe eines vergitterten Oberlichts und tauchten den Raum in ein dunkles Orange. In einer Ecke türmte sich ein Müllberg aus Kohlen, Holzpaletten, Putzlappen und zerknüllten Zeitungen. In der anderen Ecke stapelten sich einige Festmeter Holz neben einem Brennofen. Daneben stand ein Warmwasserspeicher mit jeder Menge Anzeigen, Ventilen und Rohren, die an den Wänden und der Decke verliefen. Es sah aus wie im Keller ihres Elternhauses, in dem sie früher mit ihrer Schwester Verstecken gespielt hatte. Nur dass hinter diesem Kessel ein Paar Beine hervorragte. Evelyn erkannte Pulaskis Schuhe.
    Sie sprang über die Holzscheite und lief um den Speicher herum. Pulaski lag auf dem Boden. Er war mit Handschellen gefesselt, die zusätzlich mit einer Kette an ein Heizungsrohr montiert waren. Über seinem Mund klebte ein breiter Streifen Isolierband. Das Handy war ihm aus der Hosentasche gefallen und lag außerhalb seiner Reichweite.
    Sie beugte sich über ihn und löste das Klebeband. Er bekam kaum noch Luft.
    »Bolten ist der Mörder der Jugendlichen«, keuchte er. »Ich hatte ihn gestern am Bein erwischt … Das Spray!« Er begann zu husten.
    Hastig durchsuchte sie die Innentasche seines Sakkos. Dabei bemerkte sie, dass Pulaskis Schulterholster leer war. Dann fand sie den Inhalator, führte das Mundstück an seine Lippen und betätigte zweimal den Auslöser.
    Erleichtert und nach Luft japsend sank Pulaskis Kopf an die Wand.
    »Der Mistkerl hat mich genauso überwältigt wie die Kinder«, flüsterte er. »Er hielt die Injektionsnadel bereits hinter seinem Rücken versteckt und jagte mir eine Botoxdosis in Schultern und Oberschenkel.«
    Evelyn geriet in Panik. »Wo ist Ihre Waffe?«
    »Hat mir der Knabe abgenommen.«
    »Können Sie sich bewegen?«
    »Nur das rechte Bein.«
    »Scheiße, ich muss Sie irgendwie hier rausschaffen.« Sie begann, an den Handschellen zu fingern. »Sind das Ihre? Haben Sie den Schlüssel?«
    »Nein«, keuchte Pulaski. »Sie müssen sich beeilen. Bolten hat kurz zuvor das Licht abgedreht, er muss noch irgendwo hier sein. Hat er Sie das Haus betreten sehen?«
    Evelyn schüttelte den Kopf. »Er denkt, ich bin noch draußen.«
    »Was haben Sie da so lange getrieben?«
    »Ich habe rausgefunden, dass Bolten und Hockinson die an dem Mord beteiligten Passagiere erpresst haben«, flüsterte Evelyn. Sie stand auf und folgte den Kettengliedern, die um das Heizungsrohr geschlungen waren.
    »Als Bolten aber erfuhr, dass seine ehemaligen Mitreisenden der Reihe nach starben«, wisperte sie, »konnte er nur annehmen, dass sich eines der Kinder von damals an ihnen rächen wollte.«
    Sie hantierte am Vorhängeschloss, das die Kette zusammenhielt, aber das verfluchte Ding war nicht aufzukriegen. »Leise …«, zischte er.
    Sie umklammerte das scheppernde Kettenglied. »Entweder aus Angst, dass die Sache auffliegen könnte, oder aus Furcht, selbst ermordet zu werden, machte er die ehemaligen Opfer ausfindig, tötete sie und

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