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Rachesommer

Rachesommer

Titel: Rachesommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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Gedanke, mit einem Projektil im Kopf zu enden, kam ihr mit einem Mal so unwirklich vor, dass sie nicht wusste, ob sie Angst haben sollte oder nicht. Bolten konnte zuschlagen, Leute erpressen, Videos in seinem Rotlichtzimmer drehen und Jugendliche heimtückisch ermorden. Doch ihr Gefühl sagte ihr, dass es eher zu Greta passen würde, zwei Erwachsene kaltblütig im Keller abzuknallen. Diese Frau war cleverer und gewissenloser, als Evelyn bisher vermutet hatte.
    Greta! Plötzlich rotierten ihre Gedanken. Mit einem Mal begriff sie, dass sie die Liste gar nicht aus Edward Hockinsons Arbeitszimmer, sondern aus Gretas Büro gestohlen hatte. Der Raum mit den Sportbögen an den Wänden und der Fiberglas-Armbrust in der Vitrine war Gretas Arbeitszimmer. Sie war die Sportschützin.
    »Greta hat von Beginn an die Kreuzfahrten mit ihrem Vater organisiert!«, rief sie. »Die Schlampe war ständig an Bord …«
    »Evelyn, seien Sie still!«, fuhr Pulaski dazwischen.
    »Nein!«, fauchte Evelyn. »Greta hat ihren eigenen Namen am Ende der Liste durchgestrichen!«, vollendete sie ihre Gedanken. »Sie war der dreizehnte Passagier!«
    »Schlampe?«, wiederholte Bolten mit einem gefährlich leisen Ton.
    »Hat die Schlampe auch die Waisenkinder organisiert?«, rief Evelyn. »Sie ist genauso mitverantwortlich für den Tod des Jungen, hat aber keinerlei Skrupel, ein Dutzend Männer zu erpressen!« Sie redete sich in Rage.
    Da machte Bolten einen Satz nach vorne und schlug Evelyn erneut die Waffe ins Gesicht. Diesmal konnte sie rechtzeitig den Arm hochreißen, sodass er sie nur am Handgelenk traf.
    »Sie war nicht für den Tod des Jungen verantwortlich!«, brüllte Bolten. »Als er starb, wollte niemand etwas damit zu tun haben. Greta durfte die Drecksarbeit für die anderen erledigen und musste seine Leiche beseitigen.« Speichel floss ihm aus dem Mundwinkel, als er sich über Evelyn beugte. »Deshalb begann sie, die Männer zu erpressen. Weil wir mit der Leiche alleine in den Dünen standen, während die anderen auf dem Schiff hockten und die Bar leerten!«
    »Sie haben ein Verhältnis mit ihr, nicht wahr?«, flüsterte Evelyn. Gleichzeitig hielt sie sich die Hände vors Gesicht, da sie mit einer neuerlichen Attacke rechnete.
    »Greta hat mehr Courage als Sie beide zusammen!«, fuhr Bolten sie an.
    »Sie ist genauso krank wie Sie. Und Sie sind der Schlampe hörig!«, rief Evelyn. Sie wusste nicht, warum sie den Mund nicht halten konnte. Es musste einfach raus, und wenn es das Letzte war, was sie sagte. Selbst wenn er sie noch so off schlagen würde. Sie hatte in ihrem Leben so viel durchgemacht, dass es ihm nicht gelingen würde, sie noch mehr zu verletzen, als es bisher schon geschehen war.
    Doch statt ein weiteres Mal auszuholen, ging er in die Ecke und kramte in dem Müllberg herum. Zeitungen, Holzlatten und Putzlappen flogen davon. Schließlich zog er ein schmutziges Kopfkissen hervor und warf es Evelyn in den Schoß.
    »Halten Sie sich das mit beiden Händen vors Gesicht.« Er war außer sich und trat mit der Waffe auf sie zu. »Los! Machen Sie schon! Es dämpft den Knall.« Er presste ihr den Lauf an die Stirn.
    »Nein!«, kreischte Evelyn.
    »Los!«
    Sie schleuderte das Kissen in die Ecke.
    »Wie Sie wollen.« Bolten ging zu dem Müllberg und zerrte einen dreckigen Kohlensack hervor. Er faltete ihn auseinander und kam damit auf Evelyn zu.
    »Nicht damit!«, kreischte sie. In Panik robbte sie rücklings an die Wand. »Nicht über den Kopf! Bitte nicht«, wimmerte sie. Tränen schossen ihr in die Augen.
    Plötzlich war sie wieder das zehnjährige Mädchen, das den Geschmack des Jutesacks im Mund spürte, das Kratzen auf der Haut und den muffigen Geruch in der Nase hatte.
    Sie presste die Augen zusammen. »Bitte nicht!«, flehte sie. »Ich mache alles, was Sie von mir verlangen.«
    Bolten hörte nicht auf sie, sondern zog ihr den Sack über den Kopf.
    Im gleichen Moment wurde es dunkel. Sie war wie paralysiert. Ihr Körper verkrampfte sich, ihre Muskeln begannen zu zucken. Sie bekam keine Luft. Es ist nicht wie damals, sagte sie sich. Aber ihr blieb nicht viel Zeit zum Denken. In der nächsten Sekunde spürte sie den Lauf der Waffe auf der Stirn. Sie wollte etwas sagen, nur zwei Wörter herauspressen - Bitte nicht! -, doch ihre Stimmbänder waren wie gelähmt. Dann hörte sie, wie Bolten die Waffe durchlud und den Abzug betätigte. Der Schlagbolzen bewegte sich.
    Klick!
    Er versuchte noch einmal abzudrücken. Diesmal presste er den

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