Rachespiel
Beschimpfungen vom Leib halten konnte, desto besser. Auf Socken schlich er an dem überdimensionalen Foto von ihr vorbei, das den Treppenaufgang dominierte, und salutierte wie üblich davor. Es war zu ihren Modelzeiten gemacht worden, vor ungefähr zwanzig Jahren, als sie jung und wunderschön gewesen war. Ihre dunklen, kajalumrandeten Augen glühten über einem scharlachroten Schmollmund. Der Lippenstift verlief ein, zwei Millimeter über den Umriss ihrer Lippen hinaus. Damals hatte er die Hände nicht von ihr lassen können. Das schien Millionen Jahre her zu sein.
Den Reißverschluss seines Kapuzensweatshirts von Abercrombie & Fitch hochziehend, ging Jeff dem kalten Luftzug entgegen, der durch den Flur wehte, und vergrub die Hände in den Ärmeln. Es war eiskalt im Haus.
In der Küche fand er heraus, warum. Die Schiebetür zur Terrasse stand offen, und die Lamellen des Holzrollos schlugen mit rhythmischem Klopfen dagegen.
Seltsam. Molly, ihr Hund, bellte normalerweise immer, sobald sie seinen Wagen hörte. Er hätte es nie von der Haus tür zum Hintereingang geschafft, um ihn zu schließen, ohne dass sie zur Begrüßung auf ihn zugetrabt wäre, die Hüfte nicht im Einklang mit dem Rest ihres Körpers, und ihn von oben bis unten vollgesabbert hätte.
Doch wenn Imogen mit Molly spazieren gegangen wäre, hätte sie nicht die Hintertür aufgelassen. Trotz der hohen Einfriedungshecke um das Grundstück und dem elektrischen Tor vorne war sie krankhaft besorgt um ihre Sicherheit und hütete ihre Besitztümer mit dem Eifer eines Menschen, der bei null angefangen hatte. Seit dem »Einbruch« war es schlimmer denn je. Er konnte nicht einmal das Schlafzimmerfenster nachts einen Spalt offen lassen, ohne dass sie ihm einen Vortrag hielt.
Die Glastür machte ein schmatzendes Geräusch, als er sie zuschob, dann stieg er ungelenk über den davor liegen den leeren Weidenkorb des Hundes hinweg. Mollys Schlaf plätze waren die reinsten Stolperfallen, aber Neufundländer hatten eine genetische Veranlagung für Arthritis, und er versuchte, ihr das Leben so angenehm wie möglich zu machen, nun, da sie in die Jahre kam. Dass der Korb sich immer noch dort befand, wo er ihn zuletzt hingelegt hatte, deutete ebenfalls darauf hin, dass Imogen nicht zu Hause war, auch wenn er gerade neben ihrem Landrover in der Einfahrt geparkt hatte und sie beim Frühstück nichts davon erwähnt hatte, weggehen zu wollen. Es kam ihm in den Sinn, dass sie ihm vielleicht die kalte Schulter zeigte wegen des Streits vorhin, ihn mal wieder mit Schweigen und Nichtachtung strafte.
Jeff drehte sich um und räumte Mollys Korb beiseite. Wenn Imogen hier gewesen wäre, hätte sie ihn unter den Küchentisch geschoben und den Zugang für Molly mit den Stühlen blockiert. Er kickte ihn immer gleich wieder hervor, sobald sie nicht hinsah.
Seine Augen suchten die schwarzen Arbeitsflächen aus Marmor nach einer Nachricht ab. Wo war sie um diese Zeit hingegangen? Wann würde sie zurückkommen? Und war eine kurze Mitteilung an ihn wirklich zu viel verlangt? Die Frage erübrigte sich, wusste er. Imogen kannte keine Rücksichtnahme. Er blickte flüchtig auf das Frühstücksgeschirr, das noch herumstand, weil sie sich grundsätzlich nicht dazu herabließ, es vom Küchentisch hinüber zum Keramikspülbecken zu tragen. Die Geschirrspülmaschine war keinen Pfifferling wert, weil die Traumlage hier oben auf dem Killiney Hill es mit sich brachte, dass sie zu geringen Wasserdruck hatten. Letztendlich machte er sich nur mehr Arbeit, wenn er sie benutzte.
Seufzend begann er aufzuräumen und stöhnte, als er sah, wie lange Imogen ihre Rice Krispies in der Müslischale hatte antrocknen lassen – die Dinger waren scheißschwer abzukratzen. Bestimmt machte sie das mit Absicht, um ihn zu ärgern. Er schwenkte den Hahn darüber und drehte das Wasser auf. Zu sehen, wie er nachtropfte, besserte seine Laune auch nicht gerade.
Unter diesen Umständen konnte er von Glück sprechen, wenn noch ein Sprung ins Fitnessstudio und eine Runde Schwimmen drin waren. Auf keinen Fall würde er heute ins Büro gehen, beschloss er, als er das übrige Geschirr abräumte. Wenn Imogen ihn zu Hause als Dienstmädchen benutzte, durfte sie nicht erwarten, dass er obendrein zur Arbeit erschien. Sie wollte ihn sowieso nur im Büro haben, damit sie ihn auch dort noch herumkommandieren konnte. Und in seiner jetzigen Stimmung, nach alledem, was sie sich heute Morgen an den Kopf geworfen hatten, kümmerten ihn ihre
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