Rachewahn: Thriller
Katastrophe.“
„Mein Kopf funktioniert wie ein Navi! Ich weiß genau, wo es lang geht.“
„Dein Wort in Gottes Ohr.“
Nora und Dorm mussten sich festhalten, als Tommy um die nächste Ecke bog und den Wagen sogleich wieder beschleunigte. „Macht Platz, ihr Idioten!“, brüllte er die übrigen Verkehrsteilnehmer an, ehe er die Sirene betätigte und auf die Hupe schlug. „Weg da! Seht ihr nicht, dass wir im Einsatz sind?“
Nora krallte sich in ihrem Sitz fest. „Ich will heile in der Friedrich-Ebert-Straße ankommen, Tommy.“
„Kein Problem. Vertrau mir einfach. Ich weiß, was ich mache.“
„Das sagst du so.“
56
Ein Tag zuvor
Als Nora an diesem Freitagabend um 22 Uhr ihr Haus in Geismar erreichte, warf sie die Schlüssel in eine Schale, die auf der Flurkommode stand, und schleppte sich hinüber ins Schlafzimmer. Dort entledigte sie sich ihrer Klamotten und stiefelte ins angrenzende Bad, um sich für die Nacht vorzubereiten.
Nachdem sie mit Tommy noch einen netten Abend verbracht hatte, wollte sie nun nichts sehnlicher, als endlich in den Schlaf zu sinken. Die weiteren Befragungen der Hochzeitsgäste würde sie in den nächsten Tagen noch genug auf Trab halten.
Dafür muss ich ordentlich Kraft tanken.
Hätte sie ahnen können, was am morgigen Samstag tatsächlich auf sie zukommen sollte, dann wäre sie vermutlich schon vor einigen Stunden ins Bett gegangen, um für die Geiselnahme so fit wie möglich zu sein. Doch leider besaß sie keine hellseherischen Kräfte. Stattdessen musste sie sich auf jede unerwartete Situation schnellstmöglich einstellen.
Ich behaupte aber, dass dies zu meinen Stärken gehört. Zum Glück.
Als sie ihr Bad wenig später wieder verließ, fiel ihr Blick auf ein Foto, das auf dem Nachttisch stand. Es zeigte Timo und sie an einem Strand auf Rügen. Ein Tourist hatte das Foto vor zwei Jahren angefertigt. Zu diesem Zeitpunkt war Nora so glücklich wie nie zuvor gewesen. Sie hatte geglaubt, in Timo den Mann ihrer Träume gefunden zu haben. Bis zum heutigen Tag war sie davon überzeugt, dass sie mit ihm ein wundervolles Leben geführt hätte. Trotz seiner starken Eifersucht hatte sie ihn geliebt wie keinen anderen Menschen zuvor.
Doch dann hatte das Schicksal gnadenlos zugeschlagen. Bei einem Verkehrsunfall war Timo frontal gegen eine Wand gerast, daraufhin ins Koma gefallen und nach einigen Monaten des erbitterten Kampfes gestorben. Unter Umständen war dieser Unfall sogar durch Noras Exmann Max verursacht worden. Doch bis zum heutigen Tag hatte Nora keine Gewissheit darüber erlangen können – oder wollen.
Eine Träne rollte über ihre Wang, als sie sich auf ihr Bett setzte und das Foto ansah. Ihre Kehle zog sich zusammen. Die Beine fühlten sich taub an. Es waren so viele Bilder und Gedanken, die ihr in Windeseile durch den Kopf strömten. Sowohl positive als auch negative Erinnerungen, die sie mit Timo verband. Allerdings überwogen die positiven Gedanken: Der erste Kuss, die erste gemeinsame Nacht, der erste Urlaub. Wunderschöne Erlebnisse. Dabei waren es die kleinen Dinge, die Nora am meisten vermisste. Ein Lächeln, ein Satz, ein Blick.
Der Alltag ist voller einmaliger Augenblicke. Doch man nimmt deren Bedeutung erst richtig wahr, wenn man sie nicht mehr um sich hat.
Nora presste die Lippen aufeinander und blickte Timo auf dem Bild in die Augen. „Ich werde dich immer lieben. Egal, wo du gerade bist, ich wünsche dir eine gute Nacht. Träum etwas Schönes. Und vergiss mich bitte nicht, Schatz. Früher oder später sehen wir uns wieder. Warte auf mich.“
Sie sah ihn noch einige Zeit lang an. Dann stellte sie das Foto zurück auf den Nachttisch, schaltete das Licht aus und legte sich in ihr Bett. Dabei sah sie plötzlich einen anderen Mann vor ihrem geistigen Auge: Gerhardt Frost.
Ist er wirklich der gesuchte Mörder? Oder wird er von jemandem hereingelegt? Falls ja, wer könnte diese Person sein? Und warum hat sie Mark und Stefanie getötet? Welches Motiv verbirgt sich hinter diesen Taten? Frust? Hass? Neid?
Nora wusste es nicht. Aber sie sah die Tatorte noch einmal detailgetreu im Geiste und überflog sie: Die Räume, die Leichen, die Wunden. Fiel ihr im Nachhinein etwas Wichtiges daran auf? Es war nicht ungewöhnlich, dass eine zeitliche Distanz bestimmte Erkenntnisse erweckte. In diesem Fall kam Nora aber kein entscheidender Gedanke. Daher ging sie die einzelnen Gäste durch. Albert und Veronika, Luzius und Beatrice, Matthias und Valerie, Anna und
Weitere Kostenlose Bücher