Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt
war. Und als sie Wagner diese Information vorgelegt hatte, hatte er keine andere Wahl gehabt, als dem nachzugehen. Das war eine herbe Niederlage. Sie hätte nicht gedacht, dass sie in diese Richtung recherchieren und sogar etwas herausfinden würden. Es gab doch so etwas wie Schweigepflicht. Aber offensichtlich hatten sie nichts über ihr Familienverhältnis erfahren.
»Du hast ihn also in letzter Zeit nicht gesehen?«, fragte Wagner.
Sie zögerte eine Sekunde zu lang. In diesem Augenblick schlug Lena Lund zu.
»Ist er hier? Verstecken Sie ihn?«
»Warum um alles in der Welt sollte ich ihn verstecken? Ich kenne ihn doch kaum?«
Lena Lund sprang auf.
»Er ist hier. Ich weiß, dass er hier ist.«
»Lund!«
Wagner legte eine Hand auf den Arm der Kollegin. In diesem Moment brachen in Dicte alle Dämme.
»Was zum Teufel ist eigentlich los mit Ihnen? Versuchen Sie, Ihr eigenes Fiasko auf mich zu übertragen? Von damals, als sie einen Vergewaltiger gedeckt haben und am Ende Ihre Schwester in seine Fänge geriet?«
Lena Lund schnappte hörbar nach Luft, sagte jedoch nichts. Die Stille war so gewaltig, als hätte Dicte den Stift aus einer Handgranate gezogen und diese unter das Sofa rollen lassen. Sie wusste genau, dass sie sich zusammenreißen musste, aber sie konnte sich nicht halten.
»Ihre beste Freundin hat Mike als den Täter identifiziert. Aber Sie waren so verblendet, dass Sie die Wahrheit nicht akzeptieren konnten. Sie haben ihn gedeckt, und am Ende war Sally die Leidtragende.«
Sie trat ganz dicht vor Lena Lund und starrte ihr in die Augen, die weit aufgerissen waren, wie bei einer Puppe, eingefroren in einem Moment großer Fassungslosigkeit.
»Wer weiß, ob Sie es hier nicht genauso machen? Und die Aufmerksamkeit von den eigentlich wichtigen Dingen ablenken? Ich habe nämlich niemanden totgeschlagen oder Bomben in einem Solarium und einem Auto gezündet. Und ich habe verdammt noch mal auch kein Sperma irgendwo hinterlassen, oder was Sie da sonst noch für Spuren entdeckt haben.«
Dicte holte schnell Luft, um niemandem die Möglichkeit zu geben, sie zu unterbrechen. Das fühlte sich einfach zu gut an. Die Kränkungen der letzten Tage mit weißen Autos dicht an ihrer Stoßstange und Lena Lunds unverhohlener Verdächtigung bahnten sich ihren Weg in einer Kaskade aus Worten.
»Wann begreifen Sie endlich, dass Sie in einer Sackgasse stehen? So wie damals. Oder was ist Ihr eigentliches Ziel? Müssen Sie irgendeinem Vorgesetzten gegenüber beweisen, dass Sie diese unkontrollierbare Tante Dicte Svendsen unter Kontrollehaben? Während Sie eigentlich gleichzeitig nur eine neue Ausgabe von Mike Vindelev-Holst decken wollen?«
Svendsen begann wieder lauthals zu bellen, Kaj knurrte. Sie wusste, dass sie gebrüllt hatte. Sie wusste auch, dass sie sich auf gefährlichem Terrain bewegte. Jetzt war es ihre Schulter, auf die sich Wagners Hand legte.
»Komm, beruhig dich, setz dich hin!«
Sie blieb stehen, wie ein trotziges Kind. Das war immer noch ihr Haus, und wenn er sich von einer kleinen Tussi mit perfekten Zähnen an der Nase herumführen ließ, war das seine Sache.
»Deine sogenannte tüchtige Kollegin war vielleicht ein bisschen zu tüchtig. Sie hat mir indirekt gedroht. Sie hat mich verfolgt. In ihren Augen bin ich eine Bedrohung der Rechtsordnung, so, wie sie es damals vor sechzehn Jahren gewesen ist.«
Mit einem Kopfnicken wandte sie sich wieder Lena Lund zu.
»Und, habe ich recht? Sally musste in die Klapse und wurde drogenabhängig. Sie haben große Schuldgefühle. Jeden verdammten Tag nagt es an Ihnen, und Sie lassen es an anderen aus.«
Sie zeigte mit dem Finger auf die Polizistin, die mit ausdrucksloser Miene vor ihr stand.
»Er ist hier«, sagte Lena Lund mechanisch. Als ob sie Dicte gar nicht zugehört hätte. »Ich weiß, dass Sie ihn verstecken.«
»Sie hatten es von Anfang an auf mich abgesehen. Vielleicht sogar schon bevor sie nach Århus kamen. Sie kamen mit der Mission, mich fertigzumachen und mich dafür dranzukriegen, wofür Sie eigentlich hätten verurteilt werden müssen: dass Sie einen Täter gedeckt haben.«
»Dicte, es reicht.«
Sie sah Wagner an und schüttelte den Kopf.
»Ihr müsst euch einen richterlichen Beschluss holen, wenn ihr mein Haus durchsuchen wollt.«
Das klang trotzig und roch verdächtig nach einem Schuldeingeständnis. Sie wollte noch etwas hinzufügen, aber in diesem Augenblick ertönte Svendsen fröhliches Bellen, als Bos Wagenin der Auffahrt erschien und
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