Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt
gerollt.
»Was darf ich Ihnen anbieten? Kaffee? Tee?«
»Vielen Dank, ich nehme, was Sie gerade in der Kanne haben. Sonst bin ich fein.«
»Ich habe nichts in der Kanne.«
Die Antwort kam wie scharf geschossen, wurde aber sofort abgemildert.
»Aber ich könnte jetzt eigentlich auch eine Tasse Kaffee vertragen, ich setze mal Wasser auf.«
Sie verschwand in die Küche, und die Stimmung im Raum beruhigte sich wieder. Dicte hörte sie draußen Lärm machen. Die Geräusche kamen in schneller Abfolge: Kessel, Wasserhahn, Kaffeedose vermutete sie. Sie sah sich im Esszimmer um. Von dort aus konnte sie ins Wohnzimmer sehen, das ebenfalls mitklassischen und nicht gerade billigen Möbeln ausgestattet war. Aber sie entdeckte auch das Pendant zu den Bildern von dänischen Waldseen: blaues Meer, pittoreske Hafenanlagen und bunte Fischerboote an lose hängenden Tauen. Kein einziges Familienfoto, dafür Regale voller Bücher, Klassiker in edlem Ledereinband und neuere Paperbacks. Ihr Blick fiel auf eine angeschlagene Gipsstatue der Jungfrau Maria in einem hellblauen, goldbesetzten Umhang, die auf dem Fenstersims stand.
»Das war hier vielleicht ein Durcheinander«, sagte ihre Interviewpartnerin, als sie mit einem Tablett hereinkam. »Ich habe Tag und Nacht gebraucht, um es wieder einigermaßen aufzuräumen.«
»Aber die Polizei ist doch wohl gekommen und hat Fingerabdrücke genommen und so etwas?«
»Ja, aber erst, als ich was von einem Bombenanschlag gesagt habe.«
Sie sah Dicte mit einem unerwartet schelmischen Gesichtsausdruck an.
»So sah es zumindest aus. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt ja auch noch nichts von den beiden anderen Explosionen. Aber die haben mich wörtlich genommen und waren in Null komma nichts da.«
Sie nahmen am Esstisch gegenüber voneinander Platz. Dicte dachte kurz an den jungen Mann auf dem Silberfahrrad, als sie nach einer guten Einleitung suchte.
»Der Bürgermeisterposten!«, sagte sie dann aber. »Warum? Wo sehen Sie Århus nach vier Jahren mit Ihnen am Ruder? Also, im Vergleich dazu, dass die Stadtverwaltung wieder sozialdemokratisch besetzt wäre?«
Das war die richtige Entscheidung gewesen. Francesca Olsen entspannte sich sofort bei der Aussicht, über die Kernfragen ihrer politischen Arbeit sprechen zu können. Sie schenkte Kaffee ein, nahm sich Zucker und verrührte ihn mit wohldosierten Bewegungen, tunkte einen Cantuccini in die schwarze Flüssigkeit und nahm einen winzigen Biss davon.
»Weil ich glaube, dass man es besser machen kann«, sagte sie mit Überzeugung in der Stimme. »Und weil wir ab und an ein bisschen Veränderung in der Stadt brauchen. Und vergessen Sie eines nicht«, fügte sie mit einem Lächeln hinzu, »man kann auch ein soziales Gewissen haben, obwohl man rechts von der Mitte wählt.«
»Ja, dafür sind Sie ja quasi bekannt«, sagte Dicte, es fühlte sich an, als würde Kaiser wie ein Bauchredner hinter ihr sitzen. »Woher kommt Ihre Begeisterung für das Soziale?«
Diese Frage nahm ihre Gesprächspartnerin als Anlass, um eine kleine Zeitreise zu machen und von ihrem italienischen Vater zu erzählen, der aus einer armen neapolitanischen Familie stammte. Und von ihrer Mutter, deren Vater Fischer in Nordjütland gewesen war.
»Beide Seiten stammten aus kleinen selbständigen, familiären Unternehmen, das hat ganz bestimmt meinen politischen Standort geprägt. Die schlechte wirtschaftliche Situation, die daraus resultierte, hat mir Einsichten in soziale Verhältnisse ermöglicht und in mir den Wunsch geweckt, daran etwas zu ändern.«
Das klang gut, dachte Dicte. Das klang allerdings auch zurechtgelegt, konnte aber natürlich trotzdem der Wahrheit entsprechen.
»Dieser Abend in Hasle. Was ist da eigentlich geschehen?«
Francesca Olsen zupfte sich einen Fussel von der Bluse.
»Das war gar nicht so dramatisch, und ich würde mir wünschen, dass wir das übergehen könnten. Dieses arme Mädchen hat nichts davon, wenn wir diese alten Geschichten immer wieder aufwärmen.«
»Aber Sie wurden damals zur Heldin ernannt. Wie fühlt sich das an? Sie haben alle Bürger hinter sich.«
Ihre Grimasse wirkte echt.
»Das ist ja wunderbar. Aber sie sollten lieber aus den richtigen Gründen hinter mir stehen, weil sie nämlich meine politischen Ansichten teilen.«
»Ihre eigene Partei steht ja auch hinter Ihnen. Sie wollen dochnicht ernsthaft verneinen, dass dieses Ereignis von großer Bedeutung für Ihre Ernennung zur Bürgermeisterkandidatin gewesen ist?«
»Natürlich
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