Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt
gerade in Århus? Wer zum Teufel ist diese Francesca Olsen? Wir wollen alles wissen: ihre sexuellen Präferenzen, die Farbe ihrer Unterwäsche, den Namen ihres Hundes, ihre Religionszugehörigkeit, Haarfarbe, Schuhgröße …«
Dicte lehnte sich gegen die Kopfstütze, während sie sich an Kaisers Wortschwall erinnerte und den Blick über die Wohnstraße gleiten ließ. Normalerweise liebte sie ihren Job, auch den Teil, der leider mit sich führte, dass sie ab und zu gezwungen war, aufdringlich zu sein. In der Regel fand sie es angemessen, dass die Öffentlichkeit einen Einblick in das private Leben der Prominenten und Politiker bekam. Sie selbst nutzten auch jede Gelegenheit, um die Presse für sich zu gewinnen, darum durften sie nicht jammern, wenn sie von dieser im Gegenzug mal ins Licht gezerrt wurden. Aber natürlich gab es Grenzen. Und Kaisers Grenze befand sich an einer vollkommen anderen Stelle als ihre eigene, das hatte sie oft genug erleben müssen. Und sie hatte den Eindruck, dass es auch im Fall von Francesca Olsen so war.
»Sie muss vollkommen erschüttert sein«, hatte sie ihm erwidert. »Der Einbruch und der gestohlene Wagen, der sich in eine Autobombe verwandelt. Sie hätte ja auch in dem Auto sitzen können. Vielleicht war das ja sogar so gedacht.«
»Ganz genau«, rief Kaiser und verstand Dicte mit Absicht falsch. »Du musst sie ein bisschen unter Druck setzen.«
Während sie so dasaß, öffnete sich das Garagentor des gelben Hauses. Einen Augenblick lang konnte sie zwei Gestalten im Halbdunkel ausmachen, dann schob ein junger Mann ein silberfarbenes Rennrad heraus und schwang sich darauf. Sekunden später sauste er an Dictes Wagen vorbei, und sie sah flüchtig einen ungewöhnlich gutaussehenden und sehr gut gebauten jungen Mann. Ein dänischer Adonis, solariumbraun und sportlich. Wer war er? Ein Neffe, zu so früher Stunde? Ein Sohn, der ihr bei der Recherche durch die Lappen gegangen war?
Sie blieb noch einen Weile sitzen und bereitete sich auf ihre Aufgabe vor, dankbar dafür, dass sie sich mit etwas beschäftigen musste und somit alles andere beiseiteschieben konnte. Und trotzdem beschlich sie erneut das ungute Gefühl, dass das alles miteinander zusammenhing. Die Entlassung aus dem Staatsgefängnis in Horsens, der Termin von ihr und Ida Marie in dem Solarium, die beiden Detonationen und die tote Frau im ersten Stock. Und schließlich auch der Einbruch bei Francesca Olsen und das gestohlene Auto.
Natürlich hatte sie Francesca Olsen im Fernsehen gesehen, aber die Möglichkeiten dieses Mediums waren doch beschränkt, darum war sie auch nicht auf die dunkle, exotische Ausstrahlung vorbereitet, die unter der scheinbaren Normalität zu beben schien. Trotz eines sehr neutralen Outfits: Jeans, kobaltblaue Seidenbluse und schwarze Pumps, und trotz eines dezenten Makeups und eines locker gebundenen Zopfes, was die Interviewpartnerin sehr entspannt und offen wirken ließ, war Francesca Olsen alles andere als eine gewöhnliche Person. Dicte registrierte die Wachsamkeit in ihren Augen, die durchdringender erschien als bei den meisten Menschen. Ihr Lächeln war freundlich, aber weder warm noch kühl. Ihr Gesicht war wie ein offenes Buch, das man auf einer leeren Seite aufgeschlagen hatte.
»Entschuldigen Sie bitte, ich bin ein bisschen zu früh!«
Sie sagte ihre übliche Erklärung auf, dass sie in der Gegend gewesen sei, aber die Wahrheit war, dass sie aus Prinzip zu früh kam. So hatte sie den Überraschungseffekt auf ihrer Seite, und es kam gar nicht selten vor, dass sie mit dieser Masche brauchbare Informationen ergatterte.
Ihr war es nicht möglich, zu sagen, ob sie dieses Mal erfolgreich gewesen war, aber zumindest spürte sie unterschwellig etwas, als Francesca Olsen sie begrüßte und hereinbat.
»Das sah hier nach dem Einbruch furchtbar chaotisch aus, aber ich habe jetzt wieder einigermaßen Ordnung geschaffen«, sagte sie und rückte ein paar Bücher und Kissen zurecht auf ihrem Weg durchs Wohnzimmer.
Ihre Bewegungen waren fahrig, und genau genommen lagen die Bücher und Kissen hinterher unordentlicher als zuvor.
»Wir können uns in mein Arbeitszimmer setzen, … ach nein, ins Esszimmer. Lassen Sie uns dorthin gehen.«
Diese Unsicherheit passte nicht zu ihr. Und wenige Sekunden später hatte sie ihre Fassung wiedergewonnen, und die Schiebetür zu einem klassischen skandinavischen Esszimmer mit Arne-Jacobsen-und-Hans-Wegner-Stühlen wurde mit einem gedämpften Grollen zur Seite
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