Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt
weiter, wie immer. Dann ist es dir nämlich egal, wer hinter den Kulissen steht und sich um dich Sorgen macht, weil er dich liebt.«
Er trat auf sie zu und nahm ihr Gesicht in seine Hände.
»Du glaubst, du bist abhängig von diesen Tabletten, und kämpfst wahnsinnig, um von ihnen loszukommen. Aber das Einzige, was dich richtig high macht, ist gerade diese Spannung, wenn es gefährlich wird.«
Er lächelte.
»In dieser Hinsicht sind wir gar nicht so verschieden.«
Waren sie einen Schritt weitergekommen? Hatte er diese Erkenntnis gefunden, dass sie einander loslassen mussten, um sich wieder finden zu können? Dass sie hinaus in die Welt mussten, um diese zu spüren, um einander wieder berühren und spüren zu können?
»Ich finde, du solltest Rose anrufen.«
Vielleicht rief sie aus Trotz nicht sofort an, sondern setzte ihn an der Haltestelle der Flughafenbusse ab und fuhr raus nach Süden, Richtung Odder, auf Matti Jørgensens Hof. Es war schon spät, die Dämmerung umhüllte das Anwesen und machte es fast unmöglich, das Schild von Inger-Kirstine-Fashion zu erkennen.
Das Haus war dunkel, aber unter der Garagentür schien Licht hindurch, und schon von weitem hörte sie Musik. Es klang nach Metal-Rock, Bo hätte die Band bestimmt gekannt. Matti Jørgensen sah aus, als hätte er seit ihrer letzten Begegnung weder Overall noch Sweatshirt gewechselt. Er hantierte mit einem Schraubenschlüssel herum, hatte Motorenöl an den Händen und schwarze Flecken im Gesicht. Das Motorrad, das bei ihrem letzten Besuch draußen auf dem Rasen gestanden hatte, thronte in der Mitte der Garage und war ganz offensichtlich der Mittelpunkt seiner Anstrengungen und Aufmerksamkeit.
»Ja, bitte?«
Er sah nicht feindselig aus, aber auch nicht gerade freundlich.»Ich gehe davon aus, dass Sie von der Fahndung gehört haben?«
Er nickte, ließ sie rein und schloss hinter ihr sorgfältig die Tür.
»Ich hab es im Fernsehen gesehen.«
»Und was glauben Sie?«
Er schüttelte seinen großen Kopf, so dass sich die tätowierten Zungen an seinem Hals wanden. Dann kniete er sich neben sein Motorrad.
»Das ist schwer zu
beuteilen
«, sagte er.
Er löste eine Schraubenmutter und sah zu ihr hoch. »Ich glaube nicht, dass er so dumm wäre. Das ist meine Meinung.«
Er drehte vorsichtig die Mutter ab und legte sie auf eine Zeitung, die er neben sich auf dem Boden ausgebreitet hatte.
»Aber der sitzt ganz schön in der Tinte«, fügte er hinzu.
Sie kniete sich ebenfalls hin und sah ihm bei der Arbeit zu. Es hatte etwas Zärtliches und fast Feierliches, wie diese großen Hände die kleinen Teile des Motorrads berührten. Sie hatte keine Ahnung von diesen Maschinen, deshalb schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, ob er mit seiner Frau ähnlich zart umging. Eine Stimme in ihr sagte, dass das wahrscheinlich nicht der Fall war.
»Wissen Sie, wo er vor dem Knast gewohnt hat? Auf einem Bauernhof, stimmt das? Hatte er den gemietet? Und hat er einen Job?«
Während sie ihre Fragen stellte, wurde ihr bewusst, wie wenig sie über ihn wusste. Hatte ihr Sohn eine Ausbildung gemacht? Hatte er überhaupt jemals einen Job gehabt oder sein Leben lang von Sozialhilfe gelebt?
»Ich glaube, er hat wahrscheinlich als
Zimmermann
gearbeitet oder so was Ähnliches«, hörte sie, während sie auf Jørgensens Rücken starrte, er verharrte tief gebeugt über seiner Maschine. »Ich glaube, er hat auf Djursland gewohnt. In der Nähe von Grenå, so was. In irgendeinem Kaff da.«
Er stand auf und holte sich einen Lappen aus einer Tüte, die am Türgriff eines Schrankes hing.
»So, mehr gibt es nicht. Ich weiß auch nicht, warum ich Ihnen überhaupt so viel erzähle.«
»Als er damals verhaftet wurde, war das da? War das nicht auf diesem Bauernhof?«
Matti Jørgensens Gesicht blieb ausdruckslos, während er gewissenhaft das Motorrad mit dem Lappen polierte. Er antwortete nicht.
»Wissen Sie, was damals passiert ist?«
Er seufzte und hörte auf zu polieren.
»Verdammt noch mal, sind Sie hartnäckig. Haben Sie nicht gehört, was ich gesagt habe? Mehr gibt es nicht.«
Sie überlegte kurz, ob sie ihm sagen sollte, dass sie von den krummen Geschäften seiner
Inge-Kistine
wusste, entschied aber dann, dass es nicht der richtige Zeitpunkt war, frech zu werden.
Als sie nach Hause kam, hatte Rose zwei Nachrichten hinterlassen, auf dem Festnetz und auf ihrem Handy, das sie auf lautlos gestellt hatte. Es war zwar schon nach zehn Uhr, aber sie rief dennoch zurück.
»Er
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