Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt
nicht irrte, war das Lena Lunds leuchtend weißer Opel, der direkt vor dem Restaurant hielt, so dass sich das Licht in den glänzenden Fensterscheiben spiegelte. Was hatte sie an einem Tatort zu suchen, zu dem sie nicht gerufen worden war? Kein Polizist fuhr in seinem Privatauto zum Tatort. Der Weg über die Polizeidirektion war unumgänglich, um die wichtigsten Informationen, seine Waffe, Handschellen und wenigstens einen Dienstwagen mit Funkverbindung gestellt zu bekommen. Wer hatte Lena Lund Bescheid gegeben? Wie lautete ihr Auftrag? Sein Unbehagen nahm noch zu, als er sich ein Paar blaue Überschuhe anzog und schon von weitem die beiden Kollegen Ivar K und Lena Lund wild gestikulierend im McDonald’s stehen sah. Die Zeugen und das Personal hielten sich im hinteren Teil des Fast-Food-Ladens auf, um der Spurensicherung nicht im Weg zu stehen. Als er über das Absperrband stieg und die Tür aufzog, konnte er die verbissene Auseinandersetzung der beiden hören, in der Ausdrücke wie »zufälligerweise«, »Subversion« und »Idiot« fielen.
Er atmete tief durch, während er an dem Aquarium mit den Karpfen im Neonlicht vorbeiging. Ein Techniker zeichnete weiße Kreise um die Spuren des Anschlags.
»Guten Abend. Was haben wir denn hier?«
Ivar K platzte fast vor Wut.
»Sie behauptet, dass sie ganz zufällig auf dem Weg von einer Familienfeier hier vorbeigekommen ist. Aber ich sage, jemand hat ihr einen Tipp gegeben.«
Lena Lunds Gesichtsausdruck blieb vollkommen neutral.
»Ich war auf dem Weg nach Hause. Ich habe sofort gesehen, dass hier etwas passiert ist, deshalb habe ich sofort umgedreht und bin zurückgefahren.«
Wagner entschied sich zu schweigen, statt nichtssagende Kommentare abzugeben.
»Da saßen zwei im Auto«, fuhr Lena Lund fort. »Die fuhren ganz dicht am Bürgersteig vorbei, und der Mann auf dem Beifahrersitz feuerte zwei Schüsse aus einer Pistole ab. Das Auto war schwarz. Die Nummernschilder sollen mit ZP beginnen, sagt ein Zeuge, der am Nachbartisch saß.«
Es gab tatsächlich zwei Einschusslöcher, die ihren Weg durch die Scheiben gefunden und ein Netz aus feinen Rissen verursacht hatten. Wagner überprüfte die Einschüsse, das hätte weitaus schlimmer enden können. Ein Unschuldiger hätte getroffen werden können, ein Kind oder ein Erwachsener. Unfreiwillig musste er an die Male denken, an denen er mit Alexander nach dem Schwimmen einen Burger essen gegangen war. Damals, als sie solche Sachen noch zusammen unternommen hatten.
Als er sich umdrehte, sah er, dass Hans Martinsen von der Bereitschaft mit ausgestreckter Hand auf ihn zukam. Das enthob ihn der Verantwortung, Lena Lunds Ermittlungsergebnisse zu kommentieren, und er überließ sie für einen Moment noch Ivar K.
»Wo wurde er getroffen?«
»Es waren ein Streifschuss am Hals und ein Steckschuss in der Schulter«, sagte Martinsen. »Er hat Riesenglück, dass er noch am Leben ist.«
»Und wo ist er jetzt?«
»Im Kreiskrankenhaus, dem alten. Sein Kumpel ist sofort verschwunden, als der Krankenwagen kam, wurde mir gesagt.«
»Und der war vor euch da?«
Er nickte. »Einen Wimpernschlag. Wir waren ganz draußen in Tilst und trotzdem am nächsten dran.«
»Weißt du, ob man ihn schon verhören kann?«
Martinsen zuckte mit den Schultern.
»Ihr könnt es drauf ankommen lassen. Aber ich glaube, es müsste gehen.«
»Und du bist der Meinung, dass es unser Mann sein könnte? Von der Østergade?«
Hans Martinsen war ein erfahrener Polizist, und Wagner warimmer der Ansicht gewesen, dass man sich auf dessen Einschätzung verlassen sollte.
»Da bin ich mir ziemlich sicher.«
»Wer hat ihn begleitet?«
»Zwei von unseren. Alex Jensen und K. A. Lindegaard. Damit sich niemand versucht fühlt, den Job zu beenden.«
»Sehr gut.«
Wagner fasste einen Entschluss und nickte Lena Lund zu.
»Sie übernehmen die Zeugenaussagen. Sie sind ja schon bestens eingearbeitet. Und du, Ivar, kommst mit mir ins Krankenhaus.« Und mit einem Blick zu Lena Lund fügte er hinzu: »Wir sehen uns morgen früh um neun im Büro!«
Er wartete keine Antwort ab, sondern wandte sich zum Gehen und nahm es als eine Selbstverständlichkeit, dass Ivar K ihm auf den Fersen folgte.
»Bitte, was hat die da am Laufen?«
Ivar Ks lange Arme beschrieben große Kreise, als er Wagner eingeholt hatte.
»Beruhig dich, wir nehmen meinen Wagen.«
»Sie muss einen Kontakt bei der Bereitschaft haben«, entschied Ivar K, während er sich in Wagners Passat warf und anschnallte.
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