Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt
ist überhaupt nicht gekommen«, sagte eine offenkundig empörte Rose, die ebenfalls ferngesehen hatte. »Er ist einfach nicht gekommen.«
»Was weißt du von ihm? Wo hält er sich auf?«
Das war wahrscheinlich nicht die beste Taktik, aber sie war müde und wollte endlich Antworten haben. Bo war weit weg, und in ihr trugen Besonnenheit und Verzweiflung einen harten Kampf aus.
»Das weiß ich nicht.«
»Aber er wollte sich doch in Ry treffen. Hat er dir gegenüber angedeutet, dass er in Ry wohnt? Oder wenigstens in der Nähe?«
»NEIN, Mama, das hat er NICHT!«
»Wie oft habt ihr euch geschrieben? Hast du noch was davon auf deinem Rechner?«
»Ich habe alles gelöscht«, log Rose, ohne sich besonders viel Mühe dabei zu geben. »Das geht dich nämlich gar nichts an.«
»Er wird wegen Mordes gesucht.«
»Dann geht es wohl eher die Polizei etwas an.«
»Dann gib es denen.«
»Das würdest du mir doch nie verzeihen. Es soll doch niemand wissen, dass du die Mutter eines Mörders bist, oder? Vielleicht sogar eines zweifachen Mörders.«
»Hat er dir gegenüber jemals Grenå erwähnt? Oder eine kleine Ortschaft in der Nähe? Hat er dir von seiner Vergangenheit erzählt?«
»Warum willst du ihn so unbedingt finden? Es ist nämlich nicht sicher, ob er von dir gefunden werden will.«
Die Müdigkeit, die sie überfiel, war kolossal. Sie erhob sich vor ihr wie eine gigantische Mauer und drohte sie zu zerquetschen.
»Vielleicht kann ich ihm helfen.«
War das wirklich ihr Motiv? Oder wollte sie vielmehr sich selbst helfen?
»Es ist nicht sicher, ob er sich helfen lassen will«, erwiderte Rose.
KAPITEL 33
»Es sieht aus wie eine Liquidierung. Aber er ist außer Lebensgefahr, sagen die Ärzte.«
»Bei McDonald’s? Durchs Fenster?«
Wagner setzte sich im Bett auf und suchte mit den Füßen am Boden nach seinen Hausschuhen. Ida Marie bewegte sich unruhig im Bett, schlief aber gleich wieder ein, als er mit seinen Kleidungsstücken überm Arm und dem Handy am Ohr aus dem Schlafzimmer hinunter ins Wohnzimmer schlich.
»Ein sogenanntes ›drive-by-shooting‹«, erklärte der wachhabende Beamte. »Wollen Sie die Namen von den Kollegen haben, die zuerst vor Ort waren?«
Wagner machte sich Notizen, während Kollege Heinesen die Namen der Beamten vom Bereitschaftsdienst aufsagte, die spätam Abend zum Tatort in den Randersvej gerufen worden waren.
»Und wie hieß das Opfer?«
»Ein Omar Said, zweiundzwanzig Jahre alt. Ist bisher nicht aktenkundig geworden, soweit wir das sagen können, aber Martinsen ist der Ansicht, er würde aussehen wie der eine Bombenmann mit dem Rucksack. Er saß mit einem bei McDonald’s, den du eigentlich kennen müsstest: Zeraf Hazim, ein führendes Mitglied der Haslebande.«
»Danke«, sagte Wagner. »Ich übernehme ab jetzt.«
Ein Blick auf die Uhr: 23:30. Er rief Ivar K an und verabredete einen Treffpunkt. Dann zog er sich an, schrieb Ida Marie eine SMS und fuhr das Auto aus der Garage. Es war kühl.
Während er durch die Dunkelheit den Viby Ringvej entlangfuhr, klangen die Worte des wachhabenden Beamten in seinen Ohren nach. Liquidierung.
Drive-by-shooting
. Die offizielle Pressestrategie der Polizei hingegen war, in der Öffentlichkeit die Konfliktbereitschaft zwischen den Einwandererbanden und den Rockern herunterzuspielen. Er hoffte darum, dass der Kollege seine Ausdrucksweise mäßigen würde, wenn er mit jemandem außerhalb der Mauern des Polizeipräsidiums sprechen sollte. Das war eine Gratwanderung. Zwar sollte man sich nicht unnötig zum »Baghdad Bob« machen und Offensichtliches in der Presse abstreiten: So wie Saddam Husseins Informationsminister im Irakkrieg, der abgestritten hatte, dass die Amerikaner in Bagdad eingefallen seien, obwohl sie praktisch vor seiner Haustür standen. Auf der anderen Seite konnten so starke Ausdrücke wie »Bandenkrieg« und »Vergeltungsschlag« provozieren und noch mehr Unruhe erzeugen. Intern war es der Polizei bekannt, dass die Rocker mehrere Morde an namhaften Anführern der Einwandererbanden planten. Dennoch schien es den Behörden sinnvoller, dieses Wissen der Öffentlichkeit gegenüber abzustreiten, obwohl einige Zeitungen in Umlauf gebracht hatten, dass eine Liste mit Namen jener existierte, die demnächst liquidiert werden sollten.
Er bog in den Randersvej ab und sah sofort die Einsatzwagen von Polizei und Spurensuche vor McDonald’s stehen. Er stutzte, als sein Blick auf einen Wagen fiel, der ihm sehr bekannt vorkam. Wenn er sich
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