Rachlust - Dicte Svendsen ermittelt
»Blöde Tussi. Glaubt wohl, die kann hier einfach auftauchen und sich überall reindrängeln. Wozu soll das gut sein?«
Ja, wozu sollte das gut sein? Was hatte Lena Lund auf ihrer Agenda, wenn sie denn eine hatte? War es Hartvigsen, der ihm mithilfe von Lena Lund im Nacken saß? Wagner setzte zurück, blinkte, bog auf den Randersvej ein und fuhr Richtung Krankenhaus. Er zweifelte keine Sekunde daran, dass Lena Lund ihn angelogen hatte, dass sich die Balken bogen.
Im Krankenhaus mussten sie noch zwei Stunden warten, ehe sie den Verletzten befragen konnten, der von zwei Beamten bewacht wurde.
Wagner erkannte in Omar Said sofort den Mann von der Überwachungskamera. Er war gutaussehend, unverkennbar arabischer Herkunft. Seine Haut wirkte vor dem Hintergrunddes weißen Bettlakens noch dunkler. Er hatte einen buschigen, pechschwarzen Bart und kurze Haare in derselben Farbe. Sein Gesicht und seine Nase waren schmal und lang und sahen irgendwie traurig aus, seine Augen allerdings betrachteten ihn voller Skepsis. Das Kopfteil war hochgestellt, so dass er quasi aufrecht im Bett saß, mit verbundenem Arm und einem dicken Verband um den Hals. Mehrere Verwandte des Verletzten hatten sich im Krankenzimmer versammelt, alle mit ähnlich dunkler Hautfarbe und ähnlichen Gesichtszügen. Die Frauen trugen Kopftücher. Bei einigen von ihnen wirkte das stramm sitzende weiße Kopftuch wie ein modisches Accessoire, das dazu diente, ein hübsches Gesicht einzurahmen. Die Männer trugen westliche Kleidung. Alles in allem sah es aus wie ein Krankenzimmer einer modernen dänischen Familie mit Migrationshintergrund.
Die beiden Beamten baten die Familienangehörigen, das Zimmer zu verlassen, woraufhin Wagner und Ivar K alles andere als freundliche Blicke kassierten. Dann wendeten sie sich an den Verletzten.
»John Wagner. Ich bin von der Polizei Ostjütland, Kriminaldezernat. Das ist mein Kollege Ivar Kristiansen. Wir hätten ein paar Fragen, die wir Ihnen gerne stellen würden.«
Omar Said starrte mit ausdruckslosem Gesicht in den Raum vor sich. Etwas sagte Wagner, dass diese Befragung schwer werden würde. Deshalb entschied er sich, es anders zu versuchen.
»Haben Sie Schmerzen? Sagen Sie Bescheid, wir holen den Arzt.«
Der Mann starrte weiter geradeaus, reglos.
»Sie hatten großes Glück«, schloss sich Ivar K dieser Taktik an. »Die sagen, Sie sind in ein paar Tagen hier raus.«
Weiterhin keine Reaktion.
»Konnten Sie sehen, wer geschossen hat?«, fragte Wagner und stellte sich direkt vor Said, der daraufhin seinen Blick ein Stück zur Seite wandte. »Konnten Sie jemanden wiedererkennen?«
»Sie können sich das alles sparen«, sagte der Mann plötzlich.»Ich habe nichts zu sagen. Sie können mir gerne alles Mögliche vorwerfen, aber ich werde mich nicht dazu äußern.«
Das war zwar nichts Ungewöhnliches, dennoch war Wagner irritiert. Schweigen konnte einem im Bandenkrieg das Leben retten. Denn derjenige, den man heute verpfiff, konnte einen morgen schon auf offener Straße abknallen.
»Sie haben eine Bombe in dem Solarium in der Østergade angebracht«, sagte Ivar K. »Das können wir beweisen.«
»Dann tun Sie das doch.«
»Wir haben sowohl Augenzeugen als auch Aufnahmen einer Überwachungskamera, die zeigen, dass sie am 11. September, dem Jahrestag des Terroranschlags gegen das World Trade Center in New York, von der Fußgängerzone in die Østergade abgebogen sind und das Solarium mit einem schweren Rucksack betreten haben. Zwei Minuten später haben Sie das Geschäft wieder verlassen. Mit einem wesentlich leichteren Rucksack.«
»Das war ich nicht.«
»Wo waren Sie dann am Dienstag zwischen 14:30 und 15:30?«
»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass ich mich dazu nicht äußern werde.«
»Wenn Sie sich nicht äußern wollen, können Sie auch nicht die Anschuldigung zurückweisen, dass Sie auf den Aufnahmen zu sehen sind«, entgegnete Ivar K.
»Ich war auf einem Familienfest.«
»Zeugen?«
Wagner war sich sicher, dass Omar Said mit einer langen Liste von Zeugen aufwarten konnte. Ein zufriedener Ausdruck strich über sein Gesicht, als er antwortete:
»Meine Familie: mein Vater, meine Brüder, Cousinen, Tanten und Onkel.«
»Haben Sie die Bombe selbst gebaut?«, fragte Ivar K.
Die Frage schien ihn geradezu zu belustigen. Seine Augen blinzelten. Wagners Hoffnung löste sich auf, als Said sagte: »Hören Sie. Sie werden mich niemals mit dieser Sache in Verbindung bringen können, derer Sie mich beschuldigen.
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