Rachmann, Tom
doch
geschafft.«
»Geschafft würde ich das kaum
nennen.«
»Aber du hattest doch einen
richtigen Beruf, professionelle Fähigkeiten. Nicht so was Sinnloses wie
künstlerisch-ambitioniertes Geknipse, das kriegt heutzutage jeder Trottel mit
Digitalkamera und Photoshop hin«, sagt sie. »Die ganzen Stunden, die ich in
Dunkelkammern gehockt und Fixierdämpfe eingeatmet und mit Stopperbädern und Plastikwannen
und Zangen rumgefummelt habe! Total vergeudet.«
»Gar nichts ist vergeudet.«
»Doch, manches schon. Zum
Beispiel, seien wir ehrlich, ich mache überhaupt nichts aus meiner Zeit hier.
Ich kann noch nicht mal fließend Italienisch. Und ich lebe mit einem
Hardcore-Nachrichtenjunkie und weiß noch nicht mal ansatzweise, was in der Welt
passiert.«
»Doch, tust du.«
»Vielleicht sollte ich mal
anfangen, die Zeitung zu lesen. Alle auf der Party konnten über alles Mögliche
so kompetent reden.«
»Über was denn alles?«
»Was weiß ich - das Prozedere
bei Parlamentswahlen und bewaffnete Kämpfe in Südasien und UN-Tribunale in
Kambodscha. Und dann war ich an der Reihe, und ich stehe da á la: >Hallo,
ich war mal Fotoassistentin, aber jetzt gammele ich bloß noch bei Craig zu
Hause rum.<«
»Bei uns zu Hause«, korrigiert
er. »Eigentlich vor allem bei dir zu Hause. Und meine Kollegen müssen diesen
ganzen Kram wissen - das ist ihr Job.«
»Ja eben: Und ich muss gar
nichts wissen.«
»Möchtest du dich wieder auf
Jobsuche machen? Ich kann meine Fühler noch mal ausstrecken.«
»Fändest du das gut?«
»Naja, du brauchst nicht.« Das
scheint nicht die richtige Antwort zu sein. »Aber es kann ja nicht schaden,
sich umzusehen. Noch mal, ich helfe dir wirklich gern dabei. Sag mir einfach,
was du machen möchtest. Oder wolltest du wieder fotografieren?«
»Ich weiß es nicht.«
»Worüber hast du denn mit
Hardy geredet, da auf der Party - über einen Yogakurs, stimmt's? Hättest du
dazu Lust? Ich sage ja nicht, dass das die Lösung ist. Ich will nur nicht, dass
du mich sattkriegst, weil du hier in der Wohnung festsitzt und Socken wäschst.«
Dann hat sie Geburtstag, und
er schenkt ihr das Türkisarmband und die Ohrringe und dazu Abonnements für ein
italienisches Fotomagazin und für einen Yogakurs.
Sie freundet sich sofort mit
ein paar Leuten aus dem Kurs an. Es sind alles Einheimische, Künstlertypen, die
zu viel rauchen, orangerot gestrichene Schlafzimmer haben und nach feuchter
Wolle riechen. Am sympathischsten ist ihr ein Dickerchen namens Paolo. »Ich
habe noch nie jemanden gesehen, der so unkoordiniert ist wie dieser Typ«,
erzählt sie Craig. »Der arme Paolo - kommt nicht mal mit den Händen an die
Zehen. Komplett unfähig.«
»Komme ich eigentlich an
meine?« Er probiert es. Verrenkt sich stöhnend nach seinen Schuhspitzen.
Annika springt auf und umarmt
ihn.
»Danke«, lacht er, »womit hab
ich das verdient?«
Die Yogafreunde wollen
unbedingt, dass sie mal ihre Mappe mitbringt und herzeigt. Aber als sie sich
ihre alten Fotos wieder ansieht, geniert sie sich; die halten sie doch für eine
Amateurin. Also macht sie sich an eine neue Serie. Thema sind die Graffiti, die
überall in Rom historische Gebäude verschandeln. Die Yogafreunde finden die Bilder
toll und wollen unbedingt, dass sie die ausstellt.
Seit Annika zum Fotografieren
oder mit ihren Yogafreunden unterwegs ist, kommt Menzies abends oft in eine
leere Wohnung. Die ohne Annika auch seltsam lauter zu sein scheint: Draußen
knattern Motorroller, in der Wohnung über ihnen trampeln Leute, an der Wand
tickt die Uhr. Er schmiert sich ein Brot, sein Abendessen, und geht nach unten
in seine Kellerwerkstatt. Er hat den Raum dazugemietet, für seine naturwissenschaftlichen
Projekte, sein Hobby seit Kindertagen. Hier bastelt er an Balsaholzmodellen und
stöbert in alten Magazinen über Naturwissenschaften und Technik, hier träumt
er mit offenen Augen vor sich hin. Er hat immer denselben Tagtraum: ein
Patent.
Hätte er doch lieber
Naturwissenschaften studiert! Andererseits wäre er dann nicht in D. C.
gelandet und hätte Annika nie kennengelernt. Er könnte natürlich immer noch
etwas erfinden. Irgendetwas so Bemerkenswertes schaffen, dass das M. I. T. ihn
aufnehmen müsste. Er würde in Rekordzeit seinen Doktor machen. Und Annika wäre
bei ihm. Wenn sie mitkommen würde. Aber würde sie das? Hier in Rom kann er ihr
etwas bieten: einen traumhaften Ort zum Leben, Europas Romantik. Wenn er nun
nur eine Studentenbude in Boston und Schulden
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