Rachmann, Tom
hätte? Aber das sind absurde
Gedanken. Er ist kein Erfinder, er hat überhaupt keine Ausbildung dafür, und
er ist viel zu alt, die noch nachzuholen. Er lebt ein anderes Leben, das Leben
eines Nachrichtenmannes, wohl oder übel.
Annika klopft an die Tür zur
Kellerwerkstatt. »Ich komme jetzt auch wieder hoch«, ruft er. Als er die
Kellertreppe hochsteigt, lehnt sie gekrümmt an der Wand auf dem Treppenabsatz.
Sie hat sich den Rücken verrenkt und darf eine Zeit lang kein Yoga mehr machen.
Die folgenden Wochen hockt sie
zu Hause herum, trinkt Kräutertee und guckt sich italienische Fernsehshows an.
Sie nörgelt an Craig herum und
entschuldigt sich gleich danach. Als sie wieder fit ist, nimmt sie das
Graffiti-Foto-Projekt wieder auf, geht aber nicht mehr zum Yoga.
Eines Nachmittags sitzt
Menzies in der Redaktion über einem vertrackten Titel. Er probiert
verschiedene Variationen durch und entscheidet sich am Ende für die schlichteste,
die er sowieso am liebsten hat. »Bagdad: 76 Tote bei Bombenanschlägen«, tippt
er.
Arthur Gopal kommt. Er ist
Menzies' einziger Freund im Newsroom. Sie gehen manchmal zusammen zum Mittagessen
ins Corsi, eine wuselige Trattoria auf der Via del Gesú. Bei solchen
Gelegenheiten würde Menzies Arthur eigentlich gern fragen, wie er ohne Visantha
und Pickle klarkommt, und Arthur würde ihn eigentlich gern nach Annika fragen,
von der auch er wenig weiß. Aber keiner von beiden stellt persönliche Fragen.
Sie sprechen nur über Arbeitsthemen, und die meiste Zeit redet Arthur. Zwischen
einem Löffel Bohnensuppe und dem nächsten lästert er über Kollegen (»Kathleen
kapiert nicht, worum's geht«, »Clint Oakley kriegt nicht mal einen
08/15-Nachruf hin«, »Herman lebt auf einem anderen Planeten«) und enthüllt
ehrgeizige Pläne (»Dieser alte Redakteur, Freund von meinem Vater, sagt, ich
soll nach New York kommen und für ihn arbeiten«). Wenn er ausgeredet hat, guckt
er frustriert drein und schaufelt suchend in seiner Suppe herum, als ob da ein
vermisster Manschettenknopf zu finden wäre.
An diesem Nachmittag kommt
Arthur zu Menzies an den Tisch und ist irgendwie anders. »Hast du deine E-Mails
gelesen?«, fragt er.
»In letzter Zeit nicht. Wieso?
Müsste ich?«
»Du hast eine von jemandem
namens J0J098. Ich kann dir nur dringend raten, lies die.«
Menzies druckt sie aus. Aber
was da steht, ist auf Italienisch, und das beherrscht er kaum. Die Mail hat
irgendwie mit Annika zu tun, und es gibt auch einen Anhang. Er klickt ihn auf
und bekommt ein Foto auf den Bildschirm. Es ist technisch schlecht, wie mit
einem Handy gemacht. Es zeigt Annika - offensichtlich ohne ihr Wissen
aufgenommen - auf ihrer beider Ehebett, sie ist nackt und sieht weg. Im
Vordergrund ist der behaarte Oberschenkel eines Mannes zu sehen, vermutlich der
des Fotografen. Menzies schaltet hastig den Monitor ab. »Was ist das denn, zum
Teufel?«
»Ich habe keine Ahnung. Aber
die gesamte Redaktion hat das gekriegt.«
Menzies starrt auf den
schwarzen Bildschirm. »Oh Gott.«
»Tut mir leid, dass ausgerechnet ich dir das sagen
muss«, sagt Arthur. »Was mache ich denn jetzt? Sie anrufen?«
»Wahrscheinlich lieber persönlich mit ihr reden.«
»Ich kann doch nicht einfach weg von der Arbeit.«
»Doch, kannst du.«
Menzies rennt die Treppe
hinunter, dann quer über den Campo de' Fiori, durchs Ghetto und über den
schmalen Weg den Tiber entlang. Halb geht, halb joggt er nach Hause, den Blick
nach unten auf den holprigen Weg, dann nach oben zur Ampel an der Via
Marmorata, dann geradeaus auf das Metalltor zu seinem Wohnhaus.
Da ist er und wäre es am
liebsten nicht.
Er kann da nicht hoch.
Womöglich ist das Schlafzimmer gerade belegt. Er geht in seine Kellerwerkstatt
und nimmt sich die ausgedruckte Mail vor. Mit einem Wörterbuch stückelt er sich
die Sätze zusammen. Da wird behauptet, dass Annika Sex mit einem anderen Mann
hat, wenn er in der Zeitung ist. Und dass sie vorhat, ihn zu verlassen, und
dass sie und ihr Lover zusammen eine Wohnung kaufen wollen. »Wenn du nachts
schläfst, dann auf einem Bettlaken mit seinen Spermaflecken«, steht da.
In der Redaktion (er schließt
die Augen beim Gedanken daran - sie haben die Mail alle gekriegt) geht bestimmt
jeder davon aus, dass er sofort in seine Wohnung stürmt, mit der Mail
herumfuchtelt, sich die Kehle rau flucht und brüllt, wer ist das Arschloch, das
das hier verschickt hat, und was zum Teufel ist hier los?
Aber er kann nicht. Er steht
mit den Händen auf
Weitere Kostenlose Bücher