Rachmann, Tom
den Hüften vor seiner Werkbank.
Als es spät genug ist, geht er
hoch. In sein Handy, das im Keller, einem Funkloch, verstummt war, kommt wieder
Leben. Kathleen hat x-mal angerufen, und Annika hat drei Mal per SMS gefragt,
wann er heute nach Hause kommt, sie hat langsam Hunger, ob alles okay ist?
»Hallo«, sagt sie und zieht
die Wohnungstür auf. »Was war denn los?«
»Hallo, ja. Nein, nichts -
bloß ein bisschen Durcheinander. Entschuldige«, sagt er. »Ist dein Tag gut
gelaufen?«
»Prima. Aber Moment mal -
bleib mal hier. Ich bin noch -«, sie zupft sich am T-Shirt,»- noch immer ein
bisschen durcheinander. Die Redaktion hat hier bestimmt tausendmal angerufen.«
»Ist nichts Besonderes.«
Normalerweise küsst er sie, wenn er hereinkommt. Heute Abend hat er es nicht
getan, und sie merken es beide. »Die sind einfach zu unselbstständig.« Er geht
ins Bad, betrachtet reglos sein Spiegelbild, kehrt zurück in die Arena.
Sie kann ihm nicht in die
Augen sehen. »Er hat dir die Mail geschickt, stimmt's?«, sagt sie. »Ich fasse
es nicht, dass -« Sie nennt einen Männernamen.
»Halt, halt«, unterbricht
Menzies, »bitte sag mir nicht seinen Namen. Ich will ihn nicht wissen. Wenn's
geht.«
»In Ordnung, aber ein paar
Dinge muss ich loswerden.« Sie ist bleich. »Und dann, danach, müssen wir nicht
mehr drüber reden. Ich fühle mich wie -« Sie schüttelt den Kopf. »Ich fühle
mich krank. Es tut mir wirklich, wirklich so leid. Das tut es. Aber ich muss
dir das erzählen. Paolo hat diesen - Entschuldigung, ich sollte den Namen ja
nicht sagen«, sie sucht nach dem richtigen Ausdruck, »- diesen ekelhaften,
gemeinen Scheißbrief geschickt, weil ich nicht in eine Riesensache mit ihm
reingezogen werden wollte. Hast du was dagegen, wenn ich mir eine Zigarette
hole?« Sie kramt in einer Küchenschublade nach ihren Camels, die sie sonst nur
raucht, wenn sie mit ihren Yogafreunden unterwegs ist. Hier zu Hause hat sie
sich nie eine angesteckt. Jetzt tut sie es, und sie schüttelt den Kopf, als
sie den Rauch ausbläst. »Er versucht, mich in etwas hineinzuzwingen. Darum geht
es dabei.«
»Und du bist jetzt sauer.«
»Na ja, ja.« Sie kneift sich
in den Arm. »Noch viel mehr. Mehr als sauer. Das ist, also, ich hab zum ersten Mal
in meinem Leben jemandem körperlich was antun wollen. Ich möchte, dass er so
richtig was abkriegt. Körperlich. Vom Lkw überfahren wird. Verstehst du, was
ich meine?« Ihre Gesichtszüge scheinen auf Menzies zuzustreben, als wollten sie
ihn greifen. »Verstehst du's?«
Er guckt auf seine Hände. »Naja.«
»Aber verstehst du's?«
»Ich glaube schon.«
»Der Grund dafür, diesen Mist
zu schicken, war, dich und mich auseinanderzubringen«, sagt sie.
»Damit du eine Beziehung mit ihm anfängst.«
Sie nimmt noch einen Zug. »Im
Prinzip ja.« Sie bläst den Rauch aus. »Ja.« Sie drückt die Zigarette aus.
»Lass uns nicht mehr drüber
reden. Ich finde das -«, er lässt den Satz ohne Ende stehen. Holt die
Fernbedienung. »Weißt du, ob irgendwas los war?« Geht auf CNN, um die Antwort
zu erfahren.
Am nächsten Morgen sitzt er
eine Minute lang im Newsroom an seinem Schreibtisch und starrt die Thermoskanne
an. »Irgendwas los gewesen?«, fragt er seinen Computer, während der hochfährt.
Der Tag vergeht mit Arbeit wie
jeder andere - niemand erwähnt seine gestrige Abwesenheit auch nur, und
Kathleen scheint vergessen zu haben, dass er sie nicht zurückgerufen hat. Bei
einer Zeitung sind Sachen, die gestern von äußerster Wichtigkeit waren, heute
kein Stoff mehr.
Abends zu Hause klingelt das
Telefon, und Menzies nimmt ab. Es ist ein Italiener. Er fragt nach Annika. Menzies
reicht ihr den Hörer. Sie hört die Stimme und drückt auf die Gabel. »Leg
nächstes Mal auf«, sagt sie, »gib's mir nicht, wenn er das ist. Leg einfach
auf.«
Paolo ruft immer wieder an. Er
ruft spät an und klingelt sie wach. Sie lassen sich eine neue Nummer geben. Ein
paar Wochen ist Ruhe. Dann kommt ein Schreiben vom Gericht - unglaublich, aber
er verklagt Annika wegen Bruchs des Eheversprechens, er behauptet, sie habe
einen mündlichen Vertrag gebrochen, laut welchem sie ihren Partner verlassen
und mit ihm, Paolo, gemeinsam eine Wohnung kaufen werde. Gemäß Klageschrift hat
er seinen Teil erfüllt und sogar eine Hypothek aufgenommen. Jetzt will er eine
Entschädigung.
Niemand in der Zeitung spricht
Menzies auf die demütigende Mail an, aber vergessen hat sie auch niemand. Die
Reporter widersprechen ihm
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