Rachmann, Tom
Zigarettenfilter. Auch der Gehweg ist
verwahrlost, den Wurzeln von Bäumen überlassen, die das Pflaster säumen und zum
Bersten bringen, wie aufgeworfene Betonlippen.
Wieder zu Hause, stellt Annika
die Einkaufstaschen auf den Küchentisch und schubst die Fensterläden auf. Lichtschnitze
ziehen sich über das Parkett und die weißen Wände hoch. Sie stopft die nächste
Ladung Wäsche in die Maschine, stellt das Programm ein und setzt sich mit
einem Buch hin. Sie will ihr Italienisch mit Kurzgeschichten aufbessern -
derzeit von Natalia Ginzburg und Alberto Moravia. Sie isst spät zu Mittag -
meistens um drei -, um ihren Appetit zu zügeln, bis Craig abends kommt. Sie
guckt ein bisschen idiotisches italienisches Fernsehen, bügelt, spült Geschirr,
hängt Wäsche auf, kocht Abendessen. Wenn Craig dann endlich kommt, ist Annika
halb verhungert und zerrt ihn sofort in die Küche. Von den Nachrichten des
Tages will sie nie etwas hören - Nachrichten sind immer enttäuschend, und sie
kann daran nichts ändern. Craig fällt gleich nach dem Essen ins Bett, sie
dagegen guckt alte Filme über Kopfhörer und isst selbst gemachten Joghurt mit
Rhabarberkompott.
Wenn Freunde sie fragen, wie
das Leben in Rom so ist, sagt sie: »Schön, gut«, für mehr fehlen ihr die Worte.
Nie würde sie zugeben, dass die Wohnung herrlich ist, die Gegend ideal und
Menzies ein liebenswerter Chaot. Sie redet auch nie darüber, dass sie gern
hinter ihm herräumt, noch darüber, dass sie seit dem Umzug nach Rom kein
einziges Foto geschossen hat, dass sie dazu auch keine Lust verspürt, dass ihr
Einladungen und Galerien egal sind, was sie womöglich immer schon waren. Vor
allem aber würde sie nie zugeben, dass sie glücklich ist.
»Ich möchte bloß verhindern,
dass du dich langweilst«, sagt Craig.
»Tu ich nicht.« Sie legt Musik
auf: Dinah Washington singt >What a Diffrence a Day Makes<. Craig hatte
keinen Schimmer von Jazz, bevor er sie kennenlernte, also hat sie die
Ausbildung übernommen und ihm Ella Fitzgerald, Nina Simone, Frank Sinatra
nahegebracht.
»Du bist so unglaublich
selbstgenügsam«, sagt er. »Ich hab nur Angst, dass du mich irgendwann satt hast.
Meine Socken insbesondere.«
»Die Möglichkeit besteht. Aber
solange niemand sieht, dass ich dir Abend für Abend Essen koche, geht's mir
gut.«
Wenigstens findet dieses Leben
jenseits des großen Teichs statt. Sie kann immer behaupten, sie lerne eine
Fremdsprache und Rom sei eine richtige Künstlerstadt und das Leben hier
ästhetische Bildung an sich. Und wenn sie eines Tages wieder fotografiert, dann
hat die Erfahrung hier bestimmt heilsame Wirkungen gezeitigt. Wenn sie zu Hause
in D. C. so im Haushalt aufgehen würde - ach was, das würde sie schlicht nicht.
Aber fürs Leben im Ausland gelten eben andere Regeln. Hauptsache, niemand sieht
sie so. Sie redet allen Freunden und Verwandten aus, zu Besuch zu kommen, sie
fliegt selbst zweimal im Jahr nach Hause, um sie davon abzuhalten. Wenn ihre
Mutter sie so sähe! Nachdem sie ihr jahrelang mühevoll eingetrichtert hat, wie
wichtig finanzielle Unabhängigkeit und eine eigene Karriere sind. Wenn die
Kommilitoninnen von Annikas Kunstschule sähen, wie ihre Nikon in der inzwischen
staubgrauen Tasche ruht, während sich ihre Kochbücher immer höher türmen - der
reine Heimchen-am-Herd-Horror! Craig macht Karriere, kriegt das Prestige. Und
sie? Sie kriegt die Socken zum Waschen. Und wenn irgendwas schief geht, hat er
ein Konto. Und sie? Wie soll sie diese Lücke in ihrem Lebenslauf erklären? Wie
soll sie erklären, dass sie rundum zufrieden ist mit ihrem Leben als Hausfrau?
Menzies' Kollegen wissen wenig
von seinem Leben mit Annika. Eine Zeit lang war sie mit Hardy Benjamin
befreundet gewesen, die beiden hatten sich fast jeden Nachmittag zum Kaffee in
der Espressobar unten im Haus der Redaktion getroffen. Aber dann hatte sich
Hardy einen Freund zugelegt, und ihre Freundschaft mit Annika war verblasst.
Die übrigen Kollegen haben gar nicht auf dem Schirm, dass Menzies überhaupt mit
jemandem zusammenlebt - wenn sie sich vorstellen müssten, wie er außerhalb der
Zeitung lebt, sie hätten einen Single vor Augen, der sich von dünnen belegten
Broten ernährt und dabei noch die Angaben auf der Packung liest. Für sie ist er
weniger ein Mann als vielmehr ein runzelköpfiger Pedant auf einem Bürostuhl.
Eine Redaktionsparty steht an,
und Menzies überlegt, Annika nichts zu sagen. Wenn sie ihn mit Kollegen zusammen
sieht, kriegt sie
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