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Rachsucht

Titel: Rachsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Gardiner
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Küchenlampe spiegelte sich in seinen dicken Brillengläsern. Auf der Veranda hinter dem Haus saß Nikki wie eine Mahagoniskulptur im Schaukelstuhl und stillte Thea.
    »Wen haben wir denn da?«, fragte sie beim Anblick meiner rosa Pailletten.
    »Condoleezza Rice.«
    Ein tiefes Lachen. »Und ich bin der Premierminister von Schweden.«
    Ich hockte mich auf die Stufen. »Franklin Brand ist in der Stadt. Jesse ist kurz vorm Durchdrehen.«
    »Was ist denn passiert?«

    Ich erzählte ihr alles. Dabei wurde mir meine ganze Hilflosigkeit bewusst. Als Thea satt war, streckte ich die Hände aus.
    »Gib sie mir mal.«
    Nikki reichte mir das Kind. Thea war neun Monate alt und ziemlich kräftig. Sie schlang ihre dicken Beinchen um mich und tatschte auf meinen Pailletten herum. Ich lächelte sie an.
    »Hast du mal wieder was von Luke gehört?«, fragte Nikki.
    Ich spürte einen vertrauten Schmerz in der Magengrube, obwohl Luke schon seit Weihnachten nicht mehr hier war.
    »Dem geht’s gut«, sagte ich. »Er spielt Baseball und lernt Rechnen.«
    Sie ließ mich nicht aus den Augen. »Evan, du darfst ruhig sagen, dass du ihn vermisst.«
    Aber ich brachte es nicht über mich, weil ich die Wunde nicht wieder und wieder aufreißen wollte.
    Sechsjährige können eine ganz schöne Lücke hinterlassen.
    Luke war mein Neffe, der Sohn meines Bruders. Er hatte ein Jahr lang bei mir gelebt, als Brians Jagdfliegergeschwader im Ausland war. Später hatte ich mich um ihn gekümmert, weil sich Brians Exfrau einer extremistischen religiösen Sekte angeschlossen hatte. Diese Fanatiker hatten versucht, mich zu vergiften, und hätten Brian fast umgebracht, nur um Luke in die Finger zu kriegen.
    Es war ein Albtraum gewesen. Aber bisher erfreute ich mich guter Gesundheit, und Brian hatte sich ebenfalls erholt. Deswegen war Luke jetzt wieder zu Hause, und das war gut so.
    Trotzdem.

    Ich küsste Thea und gab sie ihrer Mutter zurück. »Sprich ein Gebet für Jesse.«
    »Hätte nicht gedacht, dass er was von Gebeten hält.«
    »Tut er auch nicht. Deswegen braucht er ja unsere Unterstützung.«
     
    Am Morgen malte die durch die Jalousien fallende Sonne Streifen auf die Patchworkdecke. Ich räkelte mich und drehte mich auf die andere Seite. Draußen sangen die Vögel, und ein Müllwagen rumpelte durch die Straße. Es versprach ein heißer Tag zu werden.
    Normalerweise platze ich im Sommer geradezu vor Energie, aber im Augenblick war ich wie gelähmt. Der Gedanke an Franklin Brand ließ mich nicht los. Ich fühlte mich wie eine Versagerin und wurde von düsteren Vorahnungen geplagt.
    Ich quälte mich aus dem Bett und tapste in die Küche, wo ich Kaffeemaschine und Fernseher einschaltete. Früher hatte ich für Frühstücksfernsehen nichts übriggehabt, aber jetzt konnte ich die Stille im Haus nicht mehr ertragen. Mein wohlgeordnetes Singleleben mit skandinavischen Möbeln und Ansel-Adams-Drucken an der Wand bedeutete mir nichts mehr. Ich wollte Chaos. Ich wollte Kinder. Ich vermisste Luke.
    Während der Kaffee durchlief, checkte ich meine Termine. Ich hatte zwei Schriftsätze für Berufungsverfahren zu verfassen, war als freie Mitarbeiterin mit Recherchen für eine Kanzlei am Ort beschäftigt, saß an der Korrektur meines neuen Romans Chromium Rain und bereitete gerade ein Seminar vor, das ich bei der East Beach Writers’ Conference, einem Schriftstellerkongress, halten sollte. Das reichte, um die
Kreditraten für mein Auto und die Hypothek für das Haus zu bezahlen, und verschaffte mir jede Menge Freiheit. Wenn mir danach war, konnte ich mir meine Diana-Ross-Perücke aufsetzen und splitternackt arbeiten.
    Bisher hatte ich mir dieses Vergnügen verkniffen, aber vielleicht gönne ich es mir, wenn der Killer-Asteroid einschlägt und alle anderen in der Innenstadt die Geschäfte plündern.
    Am Vormittag hatte ich keine Termine. Ich konnte also erneut versuchen, Cal Diamond die Ladung zuzustellen.
    Ich warf einen kurzen Blick auf die Papiere, die sich auf dem Esstisch stapelten. Alles für die Hochzeit: Einladungen, Notizen für den Cateringservice, den Fotografen, die Musiker … Allein der Anblick brachte mein Herz zum Rasen und löste hämmernde Kopfschmerzen aus. Einerseits war ich aufgeregt und hatte das Gefühl, viel zu lange gewartet zu haben. Andererseits wusste ich, dass ich im Grunde noch längst nicht bereit war für diesen Schritt. Der Stapel schrie nach Aufmerksamkeit, aber ich goss mir eine Tasse Kaffee ein und ging unter die Dusche.
    Eine halbe

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