Rachsucht
sagte er.
Meine Beine rührten sich nicht von der Stelle. Wie sollte ich ihn einfach seinem Schicksal überlassen? Aber dann warf er mir einen Blick zu, und ich wusste Bescheid. Er wollte sich nicht für mich opfern. Ich war vielmehr der Fuchs, den der Hund jagen musste. Wenn ich Rudenski weglockte, verschaffte ich Van Heusen zumindest einen Aufschub. Also musste ich fliehen.
Ich raste zur Straße.
Nach achtzig Metern warf ich einen Blick über die Schulter. Im Gegensatz zu Van Heusen wusste ich, dass sein Handy hier nicht funktionierte. Er konnte keine Hilfe rufen, das konnte nur ich. Ich musste aus dem Funkschatten des Berges heraus und Verstärkung anfordern. Außerdem musste ich Rudenski von Van Heusen fernhalten, und zwar bis die
Polizei eintraf. Wenn ich entkam, würde er umkehren und Van Heusen eliminieren. Also musste ich dafür sorgen, dass er mir auf den Fersen blieb, mir aber nicht so nahe kam, dass er mir mit dem Hackbeil den Schädel spalten konnte. Ich durfte nicht zu schnell rennen. Glücklicherweise war ich fit. Hoffentlich war Rudenski nicht in Form. Ich spähte über die Schulter. Er war fünfzig Meter hinter mir.
In seinem Porsche.
Nachbarn, irgendwo musste es doch Nachbarn geben. Oder ein anderes Auto. Ich hetzte den Abhang hinunter. Nirgends eine Einfahrt, nirgends ein anderes Fahrzeug. Hinter mir hörte ich den Motor des Sportwagens grollen. Nur weg von der Straße.
Mit wirbelnden Armen rannte ich, so schnell ich konnte. Ich hörte Rudenski schalten. Direkt neben der Straße war der abfallende Hang mit hohem Gras bewachsen. Dahinter erhoben sich Sykomoren, die vermutlich einen Wasserlauf säumten. Hinter den Bäumen, dort, wo das Gelände wieder anstieg, lag eine Avocadopflanzung.
Ich lief den Abhang hinunter zu den Sykomoren, duckte mich hinter einen Baumstamm und zückte mein Handy. Ich hatte ein Netz. Oben auf der Straße rollte der Porsche im Schritttempo heran. Ich wählte die Notrufnummer.
Zugriff verweigert.
Wie bitte? Ich wählte neu. Zugriff verweigert.
Das war unmöglich. Ein Notruf musste immer und jederzeit möglich sein, selbst wenn der Anschluss gesperrt war. Vielleicht war das Signal zu schwach … egal. Ich musste Rudenski beschäftigen.
Ganz ruhig bleiben. Horchen. Vor mir plätscherte hinter Bäumen und dunklen Schatten Wasser über die Steine im
Bachbett. Hinter mir jagte Rudenski den Motor des Porsche hoch. Ich äugte um den Baumstamm herum. In der Dämmerung sah ich den Porsche mit laufendem Motor oben auf der Straße stehen.
Ich rannte zurück auf offenes Gelände, wo Rudenski mich entdecken konnte, und hörte, wie er den ersten Gang einlegte. Der Bach verlief parallel zur Straße. Ich hastete flussabwärts in Richtung Stadt und hoffte, dass es mir gelang, Foothill Road, die große Verkehrsader am Fuß der Berge, zu erreichen. Der Porsche hielt mit mir Schritt.
Ich versuchte es erneut mit dem Handy. Zugriff verweigert.
Das Gestrüpp wurde immer dichter, und eben war ich tatsächlich gegen eine Gifteiche geprallt. Ich blickte zur Straße hinauf. Rudenski hatte das Fenster geöffnet und starrte mich an.
Ich stürmte wieder auf die Baumreihe zu und versuchte es zum vierten Mal mit dem Notruf. Ohne Erfolg. Es wurde zunehmend dunkler und damit immer schwieriger, Felsbrocken und Kaninchenlöchern auszuweichen. Im Laufen versuchte ich es mit einer Nummer, deren Kurzwahl ich blind fand.
Jesse.
Ich wählte seine Handynummer. Es knisterte, rauschte, aber dann wählte das Gerät.
Freizeichen. Ich tauchte in den Schatten der Bäume ein.
Jesse, geh ans Telefon.
Ich wusste, was Rudenski vorhatte: vorfahren, den Wagen abstellen und mir am Fuß des Hangs den Weg abschneiden. Und nicht nur den Weg.
Endlich hörte ich Jesses Stimme. »Was ist los?«
»Ruf die Polizei. Schick sie zu Kenny Rudenskis Haus. Ein FBI-Agent ist verletzt und wird sterben, wenn keine Hilfe kommt.«
»Was ist los? Großer Gott, Ev …«
»Sofort.«
Schweigen. Ich konnte geradezu hören, wie sein Gehirn mit dem Schock kämpfte.
»Ich ruf dich zurück«, sagte er dann.
Kurz darauf piepste mein Handy. Ich meldete mich.
»Die Polizei ist unterwegs. Bist du verletzt?«
»Nein.«
»Bist du in Sicherheit?«
»Nein.«
»Ich hole dich.«
Jesse, mein Liebster, mein Herz, mein Leben. »Ich bin jetzt unterhalb von Rudenskis Haus und …« Ich schaute mich um. »Ich kann ihn nicht sehen.«
»Ich bin im Auto, leg nicht auf.«
Ich drückte mich an die Rinde eines alten Baums. Die Blätter
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