Radau im Reihenhaus
Sie, wen ich eben gesehen habe? – Meinen Schwiegersohn!«
»Welchen? Den Künstler oder den Steuerberater?«
Unwillig winkte sie ab. »Der Steuerberater hat ein uneheliches Kind, aber das habe ich erst später rausbekommen. Und der Maler hat mir zwar rein menschlich am besten von allen gefallen, aber irgendwie ist die Malerei eine zu unsichere Sache. Bestimmt ist er ein ganz großes Talent, nur hat es wohl noch niemand entdeckt. Zwei Ausstellungen hat er schon gehabt und noch kein Bild verkauft! Aber wenigstens hat man eins geklaut!«
»Picasso hat mal gesagt: Ein Maler ist ein Mann, der das malt, was er verkauft. Ein Künstler dagegen ist ein Mann, der das verkauft, was er malt.«
Sie überlegte. »So? Na, wenn er recht hat, dann ist Thomas wohl keins von beidem. Ist ja auch egal, er kommt sowieso nicht mehr in Frage. Seitdem ich den anderen Sohn von Frau Harbich kennengelernt habe, weiß ich genau: Das ist der Richtige!«
»Und wer ist Frau Harbich?«
»Die mit der Luzerne im Garten. Ich hab’ Ihnen doch erzählt, daß sie zwei Söhne hat – den Landwirt und den anderen. Zahnarzt ist er, hat gerade sein Staatsexamen gemacht und will in Kürze promovieren. Und aussehen tut er – einfach fabelhaft! So eine Mischung zwischen James Mason und Gary Cooper.
Der
wird mein Schwiegersohn! Das spüre ich rein intuitiv!«
Die vielgepriesene weibliche Intuition ist nichts als Schwindel. Sie ist albern, unlogisch, gefühlsbedingt, lächerlich – und fast absolut zuverlässig. Trotzdem erkundigte ich mich vorsichtig: »Was hält denn Patricia von ihm?«
»Die hat ihn ja noch nie gesehen, aber ihren Geschmack kenne ich ganz genau.«
Ich weiß nicht mehr, der wievielte Schwiegersohn es war, den Frau Heinze jetzt ins Auge gefaßt hatte, aber ihre Hartnäckigkeit, Patricia nun endlich unter die Haube zu bringen, war beeindruckend. Dabei schien die es gar nicht so eilig zu haben. Seit fast einem Jahr studierte sie an der Düsseldorfer Kunstakademie, fuhr morgens zusammen mit ihrem Vater in die Stadt, kehrte auch meistens brav wieder mit ihm zurück, und wenn sie es nicht tat, dann übernachtete sie bei einer Freundin, die von Frau Heinze schon längst gründlich unter die Lupe genommen und für zuverlässig befunden worden war.
Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit, Heiratskandidaten nur einzuladen und dann abzuwarten, ob sich »etwas daraus entwickeln« würde, ging sie diesmal ganz zielstrebig vor. Sobald sie Harbich von weitem erspähte – »Er heißt übrigens Tassilo, das klingt so richtig gediegen!«-, lief sie in den Garten und machte sich an ihren Blumenbeeten zu schaffen, um ihn in ein belangloses Gespräch verwickeln zu können. Einmal wurde ich sogar Zeuge eines derartigen Unternehmens.
Wir saßen in Heinzes Wohnzimmer, stierten gelangweilt in den Nieselregen und unterhielten uns über ein Buch, das erst kürzlich auf den Markt gekommen und gleich ein Bestseller geworden war. Mir gefiel es nicht besonders. »Ich hab’s noch nicht mal zur Hälfte durch, aber wenn es überhaupt einen richtigen Helden hat, dann sollte er den Autor totschlagen!«
»Finde ich nicht!« widersprach Frau Heinze, »diese Dreiecksgeschichte… Achtung! Da kommt er!« rief sie plötzlich, griff nach einer bereitliegenden Gartenschere und stürmte hinaus in den Mairegen. Während sie die letzten, schon fast verblühten Tulpen abschnitt, redete sie lebhaft auf ihr Gegenüber ein. So hatte ich genügend Zeit, den neuen Favoriten zu betrachten. Gut sah er wirklich aus, auch wenn ich James Mason anders in Erinnerung hatte. Ein bißchen groß geraten war er, und seine Frisur hätte ruhig etwas weniger konservativ sein können, aber vielleicht gefiel er Frau Heinze gerade deshalb so gut. Erst neulich hatte sie sich über Hendrik aufgeregt: »Bei ihm geht alles, was er ißt, in die Haare!«
Endlich kam sie wieder zurück. Die Tulpen warf sie in den Mülleimer, und während sie die Haare mit einem Handtuch trockenrieb, fragte sie atemlos: »Spielen Sie Bridge?«
»Nein. Das hat mir meine Schwiegermutter schon mal beibringen wollen, aber nach dem dritten Versuch hat sie es aufgegeben. Sie meinte, mein Verständnis für Karten beschränke sich wohl mehr auf den geographischen Bereich.«
»Das ist dumm!« Frau Heinze überlegte angestrengt. »Ich habe den Harbich nämlich gefragt, ob er sich nicht an unseren Canasta-Abenden beteiligen will, aber da hat er bloß abgewinkt. Das sei ihm zu langweilig, hat er gesagt. Er spielt nur Bridge, und nun
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