Radau im Reihenhaus
fallen, spurtete in den Keller, griff zur Schaufel, belud sie mit Koks, jonglierte sie die sechs Meter zum Ofen, setzte sie ab, öffnete das Türchen, schippte die Kohlen hinein, machte das Türchen zu, holte eine neue Ladung, machte das Türchen auf… und so weiter, bis das gefräßige Ungetüm für die nächsten zwei Stunden gesättigt war.
Künftig richtete sich mein Tagesablauf nach Ofen. Zum Einkaufen ging ich nur noch zwischen zwei Füllungen, zum Friseur und ähnlichen luxuriösen Zielen kam ich nur, wenn Rolf zu Hause war und die Ofenwache übernahm, aber selbst dann war nicht sicher, daß es warm blieb, weil er meistens vergaß, den Wecker wieder einzustellen und bei meiner Rückkehr im Keller hockte und in der Schlacke bohrte. Waren wir eingeladen, dann bekamen Obermüllers den Hausschlüssel. Ich war mir zwar nie ganz sicher, ob sich ihre Tätigkeit wirklich nur auf den Keller beschränkte und sich nicht vielleicht auch noch auf eine kleine Inspektion der übrigen Räume ausdehnen würde – bei dem allgemeinen Mangel an Neuigkeiten nur zu verständlich! –, aber alles das war mir lieber als ein kaltes Haus und der zermürbende Kampf mit dem erloschenen Ofen.
Etwa zwei Stunden nach der letzten Fütterung war der Koks so weit heruntergebrannt, daß man ihn für die Nacht präparieren konnte. In klatschnasses Zeitungspapier gewickelte Briketts garantierten genügend Glut, so daß man am nächsten Morgen relativ mühelos das Feuer wieder anfachen konnte – vorausgesetzt natürlich, man stand früh genug auf! Sonntags ausschlafen kam nicht mehr in Frage – der Ofen wollte sein Recht. Und weil mein Gatte sich ja die ganze Woche über im Dienste der Familie abgerackert hatte, während ich mein beschauliches Hausfrauendasein führen konnte, war ich es natürlich, die im weißen Bademantel in den Keller schlurfte (und im grauen wieder nach oben kam), Asche ausräumte, Kohlen schippte und dabei überlegte, weshalb ich unbedingt hatte heiraten wollen.
Weil ich abends nun so gut wie gar nicht mehr aus dem Haus kam, und wenn, dann nur in erreichbarer Nähe des Ofens, also bestenfalls zu Obermüllers, genehmigte Rolf die Anschaffung eines Fernsehapparates. Bisher hatte er es abgelehnt, so einen Kasten aufzustellen, weil der nach seiner Ansicht aus dem Kreis der Familie einen Halbkreis machen würde. Wozu gab es denn Nachbarn, bei denen man Fußballspiele und ähnliche kulturelle Ereignisse in fachmännischer Runde genießen konnte?
Der Fernseher kam also, und fortan saß mein kritischer Mann in jeder freien Minute davor, um mir hinterher erklären zu können, weshalb er dagegen war.
»Eine Anhäufung von albernen Fragespielen, unglaubhaften Familienserien, Mord und Totschlag, Brutalitäten, Schießereien… «
»Au fein, Papi«, unterbrach ihn Sven, »an welchem Tag kommt das?«
Ich sah mir oft nur die Nachrichten an, bei denen ich am meisten schätzte, daß sie sich nicht auf dem Wohnzimmertisch anhäuften, wenn ich mal nicht dazugekommen war, sie abzupassen.
Saschas Lieblingssendung wurde das Werbefernsehen, von dem ich annahm, es würde ihn wohl nicht negativ beeinflussen. Bedenken kamen mir erst, als er mich einmal spontan umarmte und rief: »Mami, ich hab’ dich so lieb, du bist so mild, so sahnig und so frisch!«
Danach genehmigte ich nur noch das Kinderprogramm.
Jedenfalls setzte das neue Heimkino dem Frischluftfanatismus der Jungen ein Ende. Jeden Nachmittag hockten sie vor der Röhre, und ich kam zu der Erkenntnis, daß man unter einem Kind ein Geschöpf zu verstehen hat, das etwa in der Mitte steht zwischen einem Erwachsenen und einem Fernsehgerät.
Eines Morgens klingelte es zu ungewohnt früher Stunde an der Haustür. Davor stand ein unglaublich schmutziges kleines Mädchen von etwa vier Jahren mit dünnen rotblonden Haarsträhnen, einem tränenverschmierten Gesicht und sehr ausdrucksvollen grünen Augen. Ich hatte die Kleine noch niemals vorher gesehen.
»Wer bist du denn?«
»Püppi!« schluchzte das Mädchen.
»Und wo wohnst du?« forschte ich weiter.
»Bei Ta-hante Lei-Leiher«, sagte Püppi und schniefte.
Eine Tante Leiher kannte ich nicht. Ob vielleicht eine von den beiden schrulligen Damen in Nr. 12 so hieß?
»In welchem Haus wohnt sie denn?«
»Weiß nich!« antwortete Püppi prompt.
Was sollte ich nun mit diesem Unglückswurm anfangen? Ins Haus wollte ich es nicht lassen, denn inzwischen hatte ich festgestellt, daß Püppi auch die Hosen vollhatte.
»Sven, komm mal
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