Radau im Reihenhaus
wanderte er gleich mit der nächsten Koksfuhre in die Heizung. Das war der einzige Vorteil dieser antiquierten Feuerstelle. Man konnte von Kartoffel schalen bis zu alten Schuhen nahezu sämtliche Abfälle verbrennen, was auch nötig war, denn unsere beiden Mülltonnen faßten kaum die täglich anfallenden Aschenberge. Damit, daß überall in der Küche eine leichte Staubschicht lag, hatte ich mich längst abgefunden.
»Irgendwann hört diese Heizerei ja mal auf«, tröstete mich Rolf, stieg vorsichtig über den nassen Lappen, der auf der obersten Kellerstufe lag, und seine Sohlen verteilten Koks und Asche gleichmäßig auf dem Küchenboden.
Wir schrieben aber erst Dezember, täglich wurde es kälter, auch innerhalb des Hauses – dann fiel der erste Schnee, und dann begriffen wir endlich, weshalb es bei uns nie richtig warm wurde. Auf dem Flur, direkt vor der Haustür, bildete sich Glatteis. Wenn es windig war, stiebte munter der Schnee herein und türmte sich zu kleinen bizarren Schneewehen auf. Auch die Wand glitzerte verdächtig.
»Das darf doch einfach nicht wahr sein!« sagte Rolf, als Sven die ersten Schneebälle durch den Flur warf, hängte sich ans Telefon und forderte bei der Baugesellschaft sofortige Abhilfe. Die wurde zugesichert, und schon zwei Tage darauf erschien eine Expertenrunde voll Brillen und Krawatten, die nach zehnminütiger Beratung feststellte, daß die Tür nicht richtig abdichtete und eine neue erforderlich sei.
»Haben sie eigentlich gesagt, wann sie die bringen?« erkundigte ich mich bei Rolf, nachdem die Experten unseren letzten Armagnac getrunken und die herrliche Aussicht bewundert hatten.
»Ich glaube, sie meinten heute nachmittag«, sagte Rolf, »schließlich haben sie ja gesehen, daß es reinschneit.«
Sie kamen aber nicht heute nachmittag und auch nicht morgen nachmittag, sie reagierten weder auf schriftliche noch auf telefonische Drohungen, und schließlich erklärte uns die Sekretärin. keß: »Wir sagen Ihnen Bescheid!«
Da wußten wir Bescheid!
»Ist am Wochenende nicht wieder große Fremdenführung?« fragte Rolf. »Dann hätte ich nämlich eine Idee!«
Noch immer waren nicht alle Häuser der Siedlung verkauft, und besonders für die sechs letzten, die inzwischen auch nahezu fertiggestellt waren, hatten sich noch keine Interessenten gefunden. Deshalb hatte die Baugesellschaft wieder einmal in sämtlichen Tageszeitungen inseriert und für den kommenden Sonntag neben der üblichen Besichtigungstour kostenlosen Glühwein und »für unsere jüngsten Besucher viele bunte Luftballons« versprochen.
Rolf äußerte sich jedoch nicht näher, stieg ins Auto und fuhr weg. Bald war er wieder zurück. In seiner Begleitung befand sich ein mir unbekannter Mann, der über einem schmutzigen Anzug eine ebensolche Schürze trug, von Rolf mit Jupp angeredet wurde und Unmengen von Bier vertrug. Jupp hantierte mit einem Zollstock, maß vor der Tür und hinter der Tür irgend etwas aus, trank Bier, lächelte verschmitzt, nickte bereitwillig zu allem, was Rolf ihm zuflüsterte, trank wieder Bier, schlug einen imaginären Pfosten in den Boden, grinste, trank noch mal Bier und ließ sich wieder zurückfahren.
»Spätestens am Freitag haben wir eine neue Tür!« versprach Rolf. Sein Gesicht war mit Wonne bestrichen wie ein Stück Brot mit Marmelade.
Das war am Montag. Am Dienstag gegen Mittag hielt ein Pritschenwagen vor unserem Haus, beladen mit alten Brettern, morschen Holzpfosten und ähnlichem Gerümpel, das möglicherweise mal eine Gartenlaube gewesen war oder vielleicht auch ein Angelsteg.
»Ist das etwa das bestellte Anmachholz?« fragte ich entsetzt, denn Jupp und ein schmächtiges Knäblein, wahrscheinlich so eine Art Lehrling, luden den ganzen Krempel ab.
»Das wird die neue Tür!« frohlockte Rolf.
»Ich hab’s ja kommen sehen! Irgendwann dreht hier jeder mal durch! Gestern hat Frau Wittinger drei Blumentöpfe aus dem Fenster geschmissen, und vorige Woche hat Frau Straatmann eine ganze Stunde lang die Internationale gesungen. Mit Klavierbegleitung! Jetzt ist anscheinend bei dir eine Sicherung durchgebrannt!«
Alle Abweichungen vom Normalen wurden von uns als ›Siedlungskoller‹ bezeichnet. Dabei war es völlig gleichgültig, ob nun Dr. Brauer seine leeren Whiskyflaschen kopfüber in den Boden rammte und so seinen Vorgarten einzäunte, ob Frau Vogt ihre Mülltonne mit Sidol auf Hochglanz polierte oder ob Isabell Gundloff barfuß durch den Schnee hüpfte. Am Siedlungskoller
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