Radau im Reihenhaus
Indira.«
Mandelauge hatte nichts verstanden. Höflich folgte sie mir zur Tür.
So ging es also nicht. Langsam begriff ich, weshalb manche Menschen Ausländer behandeln, als hätten sie Schwachsinnige vor sich. Jetzt versuchte ich es auf die gleiche Tour: »Du gehen weg, wenn dunkel! Wenn Nacht! Dann Indira schreien. Viel lange! Nicht gut für Baby. Indira nicht allein lassen, wenn dunkel!«
Nun hatte Mandelauge begriffen! Eifrig nickte sie, trat ans Fenster und zog vorsichtig die Übergardinen zu. »Dunkel«, sagte sie mit einem Blick zu dem schlafenden Säugling.
»Das meine ich doch gar nicht«, murmelte ich erschöpft. »Jetzt paß mal auf, du wunderhübsche, aber leider ziemlich begriffsstutzige exotische Blüte, du! Ich verklicker dir das Ganze noch mal, und wenn du dann wieder nichts kapierst, komm ich dir mit Goethe!«
Ich riß mich zusammen und sagte ganz langsam und deutlich: »Du Mama! Mama gehen weg! In der Nacht. Indira schreien. Du« – damit deutete ich auf sie – »nicht gute Mama!«
»Gute Mama«, flüsterte Mandelauge verträumt und strich mit der linken Hand sanft über ihren Bauch. »Wieder Mama.«
Ach du liebe Zeit, etwa noch eins? Isabell würde durchdrehen! Hoffentlich! Meine Kommunikationsversuche gab ich jedenfalls erst einmal auf und versuchte mein Glück abends bei Papa Botlivala, aber dem hatte Mandelblüte wohl schon von meinem Besuch erzählt, denn als er mich sah, strahlte er. »Indira schön Baby?«
»Ein sehr schönes Baby«, versicherte ich, »aber es schreit zu viel.«
»Schreit, ja. Gesund«, sagte Herr Botlivala, verbeugte sich lächelnd und schloß die Tür.
Indira brüllte also weiter und trieb Isabell aus dem Haus, die bei uns Trost und Armagnac suchte. Rolf fing an, sich an unseren täglichen Gast zu gewöhnen. Er kam pünklich nach Hause, brachte Blümchen für den Couchtisch mit und Räucherlachs fürs Abendessen und erwähnte immer häufiger, welch ein erfreulicher Anblick eine gutgekleidete, gutgelaunte Frau für einen ermüdeten, gestreßten Mann doch sein könne.
Die gutgelaunte, ausgeglichene Isabell hatte ja auch nicht fünf Minuten vorher Tomatenketchup vom Küchenboden wischen und Schokolodenstreußel von der Butter kratzen müssen – ganz zu schweigen von der hektischen Suche nach Saschas Schlafanzug, der sich endlich zwischen den Bauklötzen wiedergefunden hatte, wo ihn natürlich niemand vermuten konnte.
Dabei versuchte ich jeden Abend, wenigstens das größte Chaos zu beseitigen, bevor Rolf kam. Aber wohin mit den Legosteinen, wenn er schon die Autotür zuschlug? Mit beiden Händen zusammenraffen und unter die Couch schieben. Ebenfalls das Feuerwehrauto und Svens Latschen, die Buntpapierschnipselei in die Ecke vom Fensterbrett, da hängt die Gardine vor, Stehlampe anknipsen und fertig war das traute Heim. Nur für mich selbst reichte die Zeit nicht mehr, weil ich entweder noch schnell den Wellensittich einfangen oder Sascha aus der Badewanne fischen mußte, in der er meine Seidenbluse mit Scheuersand schrubbte, oder…
Isabell ging mir auf die Nerven, aber Indira schrie immer noch, und Botlivalas fuhren weiterhin jeden Abend weg. Ich konnte sie ja schlecht mit vorgehaltenem Revolver daran hindern.
Schließlich wandte ich mich an Frau Straatmann. Jahrelang hatte sie kleinen Wilden die Heilige Schrift erläutert, dann würde sie doch wohl auch ausgewachsenen zivilisierten Indern klarmachen können, daß sie abends gefälligst zu Hause bleiben oder wenigstens einen Babysitter engagieren sollten.
Zuversichtlich machte sich Frau Straatmann auf den Weg. Sie blieb fast eine Stunde lang bei Mandelauge, und als sie zurückkam, hatte sie fünf verschiedene Teesorten in der einen Hand und in der anderen eine Tuschezeichnung von Indiras Urgroßvater.
»Eine reizende junge Frau«, schwärmte Frau Straatmann, »und eine ganz hervorragende Köchin. Sie hat mir eine Kostprobe von ihrem Curryreis gegeben, leider in ihrer Sprache. Aber am Sonntag wird es mir Bruder Benedikt sicher übersetzen können. Er ist nämlich häufig in Indien gewesen.«
»Haben Sie Frau Botlivala die Sache mit dem Baby erklären können?«
»Sie versteht ja so wenig Deutsch. Dabei ist sie ein so reizendes Geschöpf.« Mit einem freundlichen Kopfnicken eilte Frau Straatmann nach Hause.
Vielleicht konnte Alex Brauer helfen? Der radebrechte immerhin diverse Sprachen, und außerdem ist Nordafrika von Indien nicht so weit weg wie Deutschland. Aber Hindi sprach er trotzdem nicht.
»Dazu
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