Radau im Reihenhaus
Die zog sich schon vor der Haustür die Schuhe aus, kaufte eine zweite Mülltonne und setzte unter Emmas Anleitung sogar zwanzig Salatpflänzchen vor das Rosenbeet, weil »des isch e arge Verschwendung, wenn ma en Garte hat un nix ernte tut. Für Kohl un Tomate isch es jetzt zu spät, awer für de Salat täts noch reiche. Des annere mache wir dann im nächschde Frühjohr.«
Es muß irgendwann im Hochsommer gewesen sein, als Mrs. McBarren mir erzählte, daß ihre Schwiegereltern zu Besuch kämen – direkt aus Schottland. Sie waren noch nie von ihrer Insel heruntergekommen, seien sehr gespannt auf Deutschland und würden furchtbar gern eine richtige deutsche Familie kennenlernen. Ob wir nicht an einem der nächsten Abende ein Stündchen Zeit für sie hätten. Nein, Deutsch könnten die Schwiegereltern natürlich nicht, aber sie seien sehr gesellig, und es würde bestimmt ein netter Abend werden.
»Was soll ich denn da?« murrte Rolf, als ich ihm die Einladung überbrachte. »Ich kann kein Englisch, und einen ganzen Abend lang herumsitzen und Keep-smiling machen, ist nicht mein Fall.«
Der Ärmste hatte ein humanistisches Gymnasium besucht, kann heute noch den halben Cäsar auswendig und den ersten Gesang der Odyssee im Originaltext, aber Englisch ist ihm ein Buch mit sieben Siegeln geblieben.
Am nachhaltigsten hatte er es zu spüren bekommen, als er Anfang der fünfziger Jahre ein paar Tage in London gewesen war. Aus Ersparnisgründen hatte er sich selbst beköstigt. Im »Handbuch für England-Touristen« hatte er zwar so nützliche Redewendungen gefunden wie: »Ich führe einen Hund mit mir, wo befindet sich der Veterinär?«, aber wo man Hartspiritus für einen transportablen Kocher bekam, stand nirgends verzeichnet. So mußte er auf kalte Küche umsteigen und hatte sich todesmutig in einen Selbstbedienungsladen gestürzt. Als er später sein Abendessen auspackte, entpuppten sich die vier Joghurtbecher als saure Sahne und der Erbseneintopf als Gemüsemais. Nicht zu vergessen die Margarine, die billiges Bratfett gewesen war.
Seitdem vertritt Rolf die Ansicht, daß humanistische Bildung zwar ethisch wertvoller, ansonsten aber ziemlich überflüssig sei.
»Die McBarrens wollen eine deutsche
Familie
kennenlernen. Dazu gehören mindestens zwei«, erklärte ich ihm. »Du brauchst ja gar nicht zu reden. Ich sage einfach, du seist stark erkältet und heiser. Bei der Begrüßung krächzt du bloß ein bißchen herum, dann wird jeder Mitleid mit dir haben. Außerdem kannst du dich kostenlos besaufen!«
Ob diese Hoffnung den Ausschlag gegeben hatte oder die Aussicht, einen echten Schotten im Kilt herumlaufen zu sehen und endlich die Frage klären zu können, ob man nun darunter… oder ob man nicht, weiß ich nicht, jedenfalls erklärte sich Rolf zum Mitkommen bereit.
Ich hatte ein ganz anderes Problem: Worüber redet man mit Schotten, die nie aus Schottland herausgekommen waren? Natürlich über Schottland. Und was wußte ich über Schottland? Gar nichts! Abgesehen von Nessie, jenem prähistorischen Ungeheuer, das in einem schottischen See und jeden Sommer durch die deutschen Illustrierten schwimmt. Dann fiel mir noch ein, daß man in Schottland Dudelsack spielt und Whisky brennt. Aus.
Also wälzte ich das Lexikon, las mich durch die Geschichte Schottlands, paukte mir die Namen der großen Clans ein (ein McBarren-Clan war nicht darunter), lernte die Hebriden-Inseln auswendig und fühlte mich in die Schulzeit zurückversetzt, wenn ich für eine Geographiearbeit büffeln mußte. Ganz nebenbei bezweifelte ich allerdings, daß unter einem geselligen Abend das Herunterleiern von Geschichtszahlen zu verstehen sei.
»Was weißt du über Schottland?« fragte ich Alex in der Hoffnung, er könnte vielleicht früher auch mal die nördliche Halbkugel bereist haben.
»Da gibt es hervorragenden Whisky!« lautete die prompte Antwort.
Wie hatte ich bloß etwas anderes erwarten können?
»Sonst nichts?«
»Ist das nicht genug?«
»Nein. Ich brauche einen abendfüllenden Gesprächsstoff!« Ich erzählte ihm von der Einladung.
»Mach dir deshalb keine Sorgen, Mädchen. Wenn’s echte Schotten sind, machen sie das Maul sowieso bloß zum Saufen auf. In Bengasi kannte ich einen, das war irgendso ein vertrottelter Oberst, der noch aus der Kolonialzeit übriggeblieben war. Der soff wie ein Loch, und wenn er richtig voll war, spielte er Dudelsack. Mir hat’s dabei immer die Schuhe ausgezogen! Weißt du übrigens, weshalb
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