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Radau im Reihenhaus

Radau im Reihenhaus

Titel: Radau im Reihenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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braucht man eine Kastratenstimme«, sagte er lachend. »Ist ja möglich, daß sich der Palmwein negativ auf die männlichen Hormone auswirkt. Hast du das Zeug schon mal getrunken?«
    »Nein.«
    »Da hast du auch nichts versäumt. Schmeckt wie aufgewärmtes Haarwasser. Scotch ist besser. Willste einen?«
    Brauer saß im Liegestuhl, vor sich eine Tabelle mit endlosen Zahlenkolonnen, neben sich die halbgeleerte Flasche. Es war elf Uhr vormittags, und ich überlegte, ob er noch frühstückte oder schon das Mittagessen vereinnahmte. Ich wurde einfach nicht klug aus ihm. Anscheinend arbeitete er intensiv, denn manchmal sah man ihn tagelang nicht, weil er aus seinem Schneckenkeller nicht herauskam. Dann wieder lag er von morgens bis abends in der Sonne, kippte pausenlos Whisky in sich hinein und brüllte seine Frau an. Er konnte charmant sein, liebenswürdig und geistreich, er konnte aber auch zum Ekel werden.
    Seit der Silvesterparty duzten wir uns. Meinen zaghaften Versuch, wieder zum Sie zurückzukehren, hatte er kurzerhand abgeblockt. »Kommt nicht in Frage, Mädchen, ich sieze nur Leute, die ich nicht leiden kann – also meine Schwiegermutter und den Gerichtsvollzieher. Aber wenn der noch öfter zu uns kommt, werden wir vielleicht doch noch Freunde.«
    Helfen konnte mir Alex aber auch nicht. Er konnte kein Hindi, hatte auch keine Lust, sich mit diesen Ausländern abzugeben und empfahl mir Schlaftabletten.
    »Für ein vier Monate altes Baby dürfte das wohl kaum das richtige sein«, protestierte ich.
    »Wer redet von dem Schreihals? Du sollst sie nehmen!«
    »Blödsinn! Ich höre das Gebrüll ja gar nicht. Babydoll ist die Leidtragende, und weil sie so zarte Nerven hat, kommt sie jeden Abend zu uns, weint sich aus und verdreht Rolf den Kopf.«
    »Diese abgetakelte Fregatte? Mach dich doch nicht lächerlich, Mädchen! Die ist mindestens ein Dutzend Jahre älter als du, saublöd und Nymphomanin. Oder glaubst du etwa das Märchen von der liebenden Tante, die ständig ihre Neffen zu sich einlädt? Demnach müßte sie mindestens sechs Geschwister mit ausschließlich männlichen Nachkommen haben. Dieses Weib ist mannstoll, und wenn Rolf das noch nicht gemerkt hat, tut er mir leid. Schmeiß sie doch einfach raus!«
    Das tat ich dann auch. Isabell war beleidigt, aber weil Kawabatas kurze Zeit später auszogen, hatte sie keinen triftigen Grund mehr, uns jeden Abend auf den Wecker zu fallen. Zu meiner Überraschung war Rolf sogar froh, denn nun konnte er wieder seine alten Pantoffeln und die ausgeleierte Strickjacke tragen und brauchte sich nicht mehr in den kleidsamen, aber leider viel zu engen Blazer zu zwängen. -
    Nach Indien kam Schottland. Die McBarrens waren ein älteres Ehepaar ohne Kinder, und wenn Mr. McBarren nicht eine ungewohnte Vorliebe für großkarierte Sakkos gehabt hätte, würde man ihn für einen Beamten des Einwohnermeldeamtes oder der Bundesbahnverwaltung gehalten haben. Deutsche Beamte geben sich aber dezenter.
    Wie ihre Vorgänger hatten auch die McBarrens keine Ahnung von der Landessprache, und deshalb grüßten wir uns nur oder winkten uns zu, wenn wir uns begegneten.
    Es muß im Juni oder Juli gewesen sein, als Mrs. McBarren mich unverhofft besuchte. Sie wollte wissen, ob ich ihr eine Putzfrau besorgen könnte. Deutschland gefalle ihr, ganz besonders sei sie von der hinreichend bekannten Ordnung und Sauberkeit beeindruckt, und nun hätte sie es auch gerne so.
    (Wahrheitsgemäß muß ich zugeben, daß sich dieses Gespräch eine Stunde lang hinzog und nur mit Hilfe eines Wörterbuchs zu Ende geführt werden konnte, denn meine Englischkenntnisse sind nicht gerade umfassend, und Schottisch verstand ich schon überhaupt nicht.)
    Ich versprach Frau McBarren, daß ich mich umhören würde. Frau Koslowski hatte keine Lust. Sie fühlte sich bei uns schon überfordert bzw. unterbezahlt, und Schotten sind bekanntlich geizig. Eine zweite Putzstelle wollte sie auf keinen Fall annehmen. Weshalb sie überhaupt noch bei uns war, wußte ich ohnedies nicht. Jedesmal erzählte sie mir, daß sie das Geld gar nicht nötig habe, jede Arbeit Gift für ihre Arthritis sei und an ihrer Wiege niemand gesungen habe, daß sie mal ihr Brot als Putzfrau verdienen müßte. Trotzdem kam sie immer wieder. Vielleicht deshalb, weil sie sich mit Tante Leiher so gut verstand und ihr beim Zusammenlegen der Frottiertücher half; vielleicht auch, weil sie jede Woche einen Schwung Romanheftchen bekam, die Rolf von dem Verlag, für den er die

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