Radau im Reihenhaus
Rolf befriedigt. »Das bißchen Durchsortieren von dem ganzen Papierkram ist nur noch eine Kleinigkeit. Das mache ich am nächsten Wochenende!«
»Die halbe Bügelwäsche habe ich auch auf die Seite gekriegt«, freute ich mich. »Die andere Hälfte war sowieso nicht so eilig.«
So ist’s richtig!« Herr Straatmann äugte über den Zaun. »Picknick im Garten. Sie verstehen es wenigstens, das Wochenende zu genießen!«
»Für den nächsten Samstag stellen wir aber wirklich ein vernünftiges Programm auf«, meinte Rolf und fischte eine Ameise aus seinem Bierglas, »kein bißchen mehr, als wir wirklich verkraften können!«
Wütend schlug er auf seinen Arm. »Warum, zum Kuckuck, hat Noah die beiden Mücken nicht umgebracht, als die Gelegenheit so günstig war? Jetzt fressen uns die Viecher auf! – Kommt, laßt uns reingehen! Am besten gleich ins Bett. Ich bin hundemüde. Zum Glück ist ja morgen auch noch Wochenende!«
Verstehen Sie jetzt, warum ich gegen die 35-Stunden-Woche bin?
»Kunst am Bau« hieß ein Schlagwort der fünfziger Jahre. In irgendeinem Ministerium mußte ein verständnisvoller Mensch auf den Gedanken gekommen sein, endlich auch die bildenden Künstler am deutschen Wirtschaftswunder teilnehmen zu lassen. Die Filmschaffenden schwammen damals munter auf der Heimatschnulzenwelle und verdienten großartig; Autoren fingen an, die Vergangenheit zu bewältigen, und verdienten auch nicht schlecht. Nur Maler und Bildhauer waren noch benachteiligt. Der deutsche Durchschnittsbürger kaufte sich erst einmal einen Fernsehapparat, einen Nierentisch und Hängeschränke für die Küche, fuhr im Sommer nach Alassio oder Rimini, und wenn er dann noch Geld übrig hatte, schaffte er sich einen Kabinenroller an oder sogar schon ein richtiges Auto. Der »Abendfriede« über dem Wohnzimmersofa konnte ruhig noch ein bißchen länger hängenbleiben, bevor er gegen ein zeitgemäßeres Ölgemälde ausgewechselt werden würde. Die Künstler hatten es also schwer und die Minister ein Einsehen. Künftig sollte ein gewisser – allerdings verschwindend geringer – Prozentsatz der jeweiligen Gesamtkosten der künstlerischen Ergänzung öffentlicher Bauprojekte dienen. In welcher Form die »Kunst am Bau« zum Ausdruck kommen sollte, bestimmten meistens die Bauherren, und die hatten so ihre eigenen Vorstellungen von Kunst im allgemeinen und der für ihr Objekt geeigneten im besonderen. Der Künstler selbst wurde nicht gefragt; er war froh, wenn er den Auftrag bekam.
Mir ist bis heute noch nicht klar, wer eigentlich festlegt, was Kunst nun überhaupt ist. Eine Bekannte von mir sammelt Elefanten und hält alles, was vier Beine und einen Rüssel hat, für Kunst – auch die sandfarbene Elfenbeinimitation mit dem Porzellansockel. Sie freut sich jedesmal, wenn sie ihre Elefantenherde abstaubt, und würde sie niemals für eine Skulptur von Henry Moore eintauschen. Obwohl die ja nun allgemein anerkannte Kunst ist.
Ich werde mich aber hüten, ein Werturteil abzugeben, denn im Familienkreis gelte ich als absoluter Kunstbanause, der einen Chagall nicht von einem Chateau unterscheiden kann. Aber einmal will ich es doch loswerden: Nach meiner ganz unmaßgeblichen Meinung entsteht moderne Kunst dann, wenn ein Maler aufhört, sich hübsche Mädchen anzusehen, weil er sich einredet, er hätte einen besseren Einfall!
Vor unseren Häusern und parallel zur Zufahrtsstraße befand sich eine größere Rasenfläche, die uns allen gehörte und folglich auch von allen gepflegt werden sollte. Herr Vogt hatte einmal den Versuch gemacht, seinen Anteil – also etwa ein Achtzehntel – des Areals zu mähen in der Hoffnung, wir anderen würden seinem Beispiel folgen, aber es fand sich niemand mehr. Der Rasen wurde zur Wiese, auf der die Kinder Fußball spielten, Wildblumen pflückten und Zelte aus Bettlaken aufschlugen. Ein paar Tage lang gab es auch so etwas wie Solidarität unter den Anwohnern, als wir abwechselnd auf der Lauer lagen, um den Maulwurf zu erwischen. Aber der ist dann doch klüger gewesen und vorsichtshalber ausgewandert. Insgeheim habe ich noch immer den Verdacht, daß Sven ihn heimlich ausgebuddelt und umgesiedelt hat. Er fand ja auch Wühlmäuse ausgesprochen niedlich.
Eines Tages nun versammelte sich auf der Wiese ein Gremium würdig aussehender Herren, die eine sehr gestenreiche Debatte führten. Mittelpunkt dieses Stehkonvents war ein gar nicht würdig aussehender Mann mit Wallehaaren und ebensolchem Bart. Trotz der kühlen
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