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Radau im Reihenhaus

Radau im Reihenhaus

Titel: Radau im Reihenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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Witterung ging er barfuß und trug einen kurzärmeligen blaugestreiften Metzgerkittel, der ihm bis zum Knie reichte. Der Mann schritt die Wiese einmal längs ab und einmal quer, hockte sich hin, stellte sich auf die Zehenspitzen, prüfte den Sonnenstand, maß die Schatten aus, die von den Garagen auf die Wiese fielen, und gebärdete sich, als würde er seinem staunenden Auditorium verkünden, er habe soeben das Perpetuum mobile gefunden. Geraume Zeit später zogen die Herren wieder ab, und ich vergaß die ganze Sache.
    Es mochten etwa zwei Monate vergangen sein, als ein Maurer erschien, einen Zementsack von seinem Wagen lud, Schaufel, Thermoskanne, Tageszeitung und Bierflaschen auf die Wiese warf und nach einem prüfenden Blick in die Runde zur Tat schritt: Er machte Mittagspause.
    Bis zum Abend hatte er sogar schon ein etwa zwei Quadratmeter großes Viereck aus dem Rasen gestochen. Dann lud er sein Handwerkszeug wieder auf den Lastwagen und verschwand unter Hinterlassung des Zementsacks und der zwei geleerten Bierflaschen.
    Die Siedlungsbewohner besichtigten den Schauplatz.
    »Vielleicht pflanzen die endlich ein paar Büsche hierhin«, hoffte Herr Heinze.
    »Und wer muß det Jrünzeuch denn jießen? An uns bleibt det doch hängen, und machen tut’s doch keener!«
    »Seit wann braucht man dazu Zement?«
    »Da haste ooch wieda recht, Hermann!« Obermüller betrachtete intensiv das kleine Häufchen aufgeworfene Erde. »Wär ja ooch’n bißchen flach für’s Jebüsch. Det sieht mir eher aus, als wenn da’n Fundament oder sowat hinkommt.«
    »Ich hab’s!« frohlockte ich. »Das wird ein Spielplatz!«
    Allen Kaufinteressenten hatte man damals versichert, daß auch »an die kleinen Bewohner« gedacht und nach Abschluß der Bauarbeiten ein Spielplatz errichtet werden würde. Bisher hatte sich zwar noch nichts getan, aber Frau Heinze hatte unlängst gemeint, wir würden ja voraussichtlich auch mal Enkel bekommen.
    Zwei Tage lang diente das Erdloch als Murmelbahn. Am dritten endlich kam der Maurer wieder; ihm folgte ein zweiter Maurer, und als sie gefrühstückt hatten, schalten sie Bretter ein, rührten in einer rostigen Schubkarre eine blubbernde Masse an und kippten das fertige Zeug in die Miniatur-Baugrube. »Betreten verboten!« stand auf dem leeren Zementsack aus Papier, der – von einem Stein beschwert – nach Beendigung der Arbeit neben dem Produkt deutscher Handwerkertüchtigkeit die Wiese verschandelte.
    Nun warteten wir auf das Klettergerüst. Oder die Schaukel. Oder die Wippe. Wir warteten umsonst. Das Gras überwucherte langsam wieder den Betonklotz, Conni pinkelte dreimal täglich die rechte vordere Ecke an, und Sascha holte sich ein blutiges Knie, als er quer über die Wiese rannte und über den Steinsockel stolperte.
    Das feierliche Aufstellen der ›Kunst am Bau‹ ist mir leider entgangen, weil ich ausgerechnet an diesem Tag nicht zu Hause war. Bei meiner Rückkehr war es schon dunkel gewesen, und so entdeckte ich erst am nächsten Morgen den unförmigen Holzklotz, der plötzlich das Betonfundament verunzierte.
    »Wo habt ihr denn das Ding aufgetrieben?« fragte ich Sven. »Das muß doch ein ziemliches Gewicht gehabt haben.«
    »War’n wir ja gar nich. Das soll’n Denkmal sein oder so was. Is gestern aufgestellt worden. Aber was es is, weiß keiner. Nich mal die Leute, die es gebracht haben. Einer hat gesagt, es sieht aus wie eine verkehrtherumene Badewanne.«
    »Es ist eine Schöpfung dieses Rasputin, der vor einer halben Ewigkeit hier herumgehüpft ist«, klärte mich Frau Heinze später auf. »Das Ding heißt ›Liegende Frau‹ oder so ähnlich, aber das ist ja wurscht, weil man sowieso nichts erkennt. Beim Anatomie-Unterricht muß der Künstler gefehlt haben!«
    »Sie verstehen eben nichts von moderner Kunst«, sagte ich. »Ein moderner Bildhauer ist ein Mann, der einen unbehauenen Klotz aus Stein oder Holz hernimmt und wochenlang bearbeitet, bis er aussieht wie ein unbehauener Klotz aus Stein oder Holz.«
    Die Gemüter beruhigten sich bald wieder. Ab und zu hatte Kunigunde, wie Obermüller die aber schon sehr deformierte hölzerne Dame getauft hatte, einen Blumenkranz auf dem Kopf oder eine leere Whiskyflasche im Arm; nach dem ersten Schneefall hatte ihr eine mitleidige Seele einen alten Schal um den Hals gewickelt, aber im Laufe der Zeit gewöhnten wir uns an das Kunstwerk. Sascha behauptete sogar, es sei besser als jedes Klettergerüst, weil es keine harten Kanten gebe, an denen man

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