Radau im Reihenhaus
hängenbleiben könnte.
Nur Conni brachte das zum Ausdruck, was wir insgeheim alle bei dem täglichen Anblick von Kunigunde dachten: Er pinkelt jetzt alle vier Ecken an!
»Was is’n die Schnittmenge, wenn das hier die Restmenge ist?« Sven kaute auf seinem Bleistift und sah mich hilfesuchend an.
»Verstehe ich nicht!«
»Ich auch nicht, deshalb frage ich ja!«
Erwachsenenbildung wird es geben, solange Kinder Hausaufgaben machen. Natürlich hatte ich mir bei Svens Einschulung vorgenommen, täglich mit ihm Lesen zu üben, seine kümmerlichen Schreib versuche zu kontrollieren und das kleine Einmaleins abzuhören. Ich hatte Rechenhefte gekauft und Schreibhefte mit Doppellinien, hatte eine Rechenmaschine mit bunten Holzkugeln besorgt, zum Geburtstag hatte er ein Rechenlotto bekommen und ein Lernspiel für Erstkläßler – er war also bestens gerüstet.
Schon nach dem zweiten Schultag hatte er zwei Kästchen aus dem Ranzen geholt, die gefüllt waren mit bunten Klötzen und rechteckigen Stäben verschiedener Länge.
»Du sollst doch keine Spielsachen mit in die Schule nehmen!« sagte ich ärgerlich.
»Die haben wir doch in der Schule gekriegt!« verteidigte sich Sven.
»Wozu denn bloß?«
»Damit sollen wir rechnen lernen!«
Die Katastrophe nahm ihren Lauf. Obwohl Sven mir ein dutzendmal Sinn und Zweck dieser logischen Blöcke erklärte, begriff ich sie nicht und kam zu dem Schluß, daß nur Kinder über die nötige Intelligenz verfügen, damit fertigzuwerden. Wenn er aber doch mal Schwierigkeiten hatte, schickte ich ihn zu seinem Vater, der seit jeher auf dem Standpunkt steht, Frauen könnten nicht logisch denken. Das sei ja auch kein Wunder, denn schließlich sei das männliche Gehirn 180 Gramm schwerer als das weibliche.
»Und in diesen 180 Gramm stecken ausgerechnet sämtliche Fähigkeiten zum logischen Denken? Das ist doch unlogisch!«
An diesem Punkt der Debatte pflegte Rolf meistens das Thema zu wechseln. Aber die Sache mit den Klötzchen begriff er auch nicht.
»Mit diesem Kleinkinderkram wirst du doch wohl selbst fertigwerden!« donnerte er seinen Sohn an. »Zu mir kannst du kommen, wenn du Mathematik lernst!«
»Aber das ist doch Mathematik!«
»Das ist Spielerei!« sagte Rolf.
Zu diesem Schluß mußte wohl auch Sascha gekommen sein. Eines Tages räumte er Svens Ranzen aus, schleppte die hübschen bunten Steinchen in eine Sandgrube und brachte nur die Hälfte wieder mit nach Hause. Ich schenkte ihm den Rest und kaufte einen neuen Kasten. Da fehlten dann aber auch bald ein paar Stäbe, die kleinen geometrischen Plättchen landeten teilweise im Staubsauger, hin und wieder auch im Mülleimer – jedenfalls wurden es immer weniger, und daran wird es wohl gelegen haben, daß Sven während der gesamten Schulzeit ein gestörtes Verhältnis zur Mathematik gehabt hat.
Seine pädagogischen Talente erprobte Rolf bei Michael. Der Knabe war zwar intelligent, aber faul, außerdem war er in seiner Freizeit noch immer damit beschäftigt, Neuigkeiten zu sammeln und weiterzugeben, so daß er seine Hausaufgaben in die Abendstunden verlegte. Seinen Vater ging er erst gar nicht um Hilfe an, weil der um diese Tageszeit selten in der Lage war, auch nur zwei und zwei zusammenzuzählen, und Dorle hatte erklärt, sie habe sowieso kein Verhältnis zu Zahlen.
Obwohl es Rolf oft genug gar nicht in den Kram paßte, fühlte er sich doch geschmeichelt, wenn Michael bei uns auftauchte – Mathebuch unterm Arm und flehenden Hundeblick im Gesicht: »Haben Sie einen Augenblick Zeit?«
Erst das ist wahre Konzentration, wenn der Erwachsene die Schularbeiten machen kann, während der Schüler neben ihm vorm Fernsehapparat sitzt.
»Paß mal auf, Michael, das ist doch ganz einfach: Wenn A hundertzehn Mark verdient und B hundertfünfzig ausgibt… du, geh lieber zu meiner Frau, die versteht das besser!«
Ich warf einen vernichtenden Blick auf Rolf und dann ins Mathebuch: »Das ist eine Dreisatzaufgabe!«
»Natürlich, das weiß ich auch«, sagte Rolf unwirsch, »aber weißt du noch, wie der Dreisatz geht?«
»Nein. Lerne ihn lieber, solange du noch Gelegenheit dazu hast, Sven kommt auch mal in die fünfte Klasse!«
Unsere gemeinsamen Bemühungen nützten aber doch nicht viel. Michael blieb kleben. Sven beinahe auch. Sein erstes Zeugnis überreichte er mir mit den Worten: »Hier hast du den Wisch – und fernsehen mag ich sowieso nicht mehr!«
Als sein Vater das Dokument in die Hand bekam, schüttelte er bloß den Kopf:
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