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Radegunde von Thueringen

Radegunde von Thueringen

Titel: Radegunde von Thueringen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Knodel
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Entsetzen.
    Wie oft war dieser Satz ihr in den letzten Tagen selbst durch den Kopf gegangen! Hinten in der Hütte hörte sie Agnes aufschreien, sie hatte dort am Lager der kranken Kinder gesessen.
    Der Kleine hatte bereits hohes Fieber, sie konnten ihn nur in nasse Tücher wickeln und ihm den Fenchelsud einflößen. Agnes klammerte sich an Bertafrid wie eine Ackerwinde an einen Weizenhalm. Und wie der Halm im Wind wankte Bertafrid in seiner unsäglichen Angst.
    Wie hatte sie den beiden ihr Glück gegönnt! Die kleine Familie besaß ein eigenes Steinhaus, Bertafrid diente Chlothar inzwischen als Hauptmann. Der König hatte ihm die Verantwortung für die Schlachtrösser übertragen. Mit Pferden kannte ihr Bruder sich aus. Während sie die beiden in ihrem Kummer betrachtete, fühlte sie, wie sich lähmende Kälte in ihrem Körper ausbreitete. Ihr Blickfeld zog sich zusammen, als schnürte jemand einen Sack über ihr zu. Sie merkte nicht mehr, dass sie fiel.
    Als sie die Augen aufschlug, erkannte sie die lehmverschmierte Schilfdecke ihres Privatgemaches über sich. Vorsichtig drehte sie den Kopf. Sofort beugte sich ein vertrautes Gesicht über sie.
    „Radegunde? Wie fühlst du dich?“
    Agnes. Ihre Stimme klang merkwürdig belegt.
    Dann kam die Erinnerung. Wie eine große Welle schwappte sie über ihr zusammen und nahm ihr den Atem.
    „Was ist passiert? Bin ich auch …?“
    „Nein, ich glaube nicht. Du warst nur erschöpft. Dir fehlten Schlaf und eine ordentliche Mahlzeit.“
    Sie richtete sich auf. Ihre Glieder zitterten ein wenig, doch sonst schien alles in Ordnung. Keine Schmerzen, kein Fieber, hastig tastete sie Hals und Leisten ab. Da waren auch keine Beulen. „Wie lange liege ich hier schon?“
    „Du hast zwei Tage geschlafen.“
    „Gütiger Gott, das ist doch nicht möglich! Doch was ist mit den Kranken? Geht ihre Zahl zurück?“
    „Seit gestern Abend gab es keinen neuen Fall, wir haben schwache Hoffnung, dass es aufhört.“
    „Und … Agnefrid?“ Sie fürchtete sich vor der Antwort.
    Agnes schüttelte den Kopf. Obwohl sie sich fest auf die Unterlippe biss, stürzten aus ihren Augen Tränen.
    Radegunde griff nach ihrer Hand. Worte fielen ihr nicht ein. Ratlos starrte sie auf das leere Lager neben der Tür, auf dem noch Besas Umhang lag. Eine Weile hingen beide ihren trostlosen Gedanken nach.
    „Ich muss wieder an die Arbeit!“, sagte sie schließlich und schob die Decke zurück.
    „Du solltest zunächst etwas essen, sonst hältst du nicht lange durch!“
    Widerwillig musste sie Agnes Recht geben.
    „Wie geht es Bertafrid?“, fragte sie auf dem Weg zur Küche.
    „Er spricht nicht darüber. Er geht mir aus dem Weg.“ Agnes senkte den Kopf. „Dabei …“
    „Lass ihm Zeit! Er wird darüber hinwegkommen!“ Was für ein lapidarer Satz! Sie schämte sich beinahe im selben Moment, da sie ihn ausgesprochen hatte.
    In den Krankenhütten herrschte vorsichtig optimistische Stimmung. Zwei Lager waren bereits geräumt, ohne dass Neuerkrankte sie in Beschlag genommen hatten.
    Radegunde sah ein braunes Gesicht unter den Kranken. „Salomé lebt?“, flüsterte sie erstaunt.
    Chrotesina zog sie beiseite. „Ich habe alle weiteren Beulen so angeschnitten und entleert, wie Ihr es gezeigt hattet. Sie bekam auch keinen Husten.“ Sie zögerte. „Aber das Fieber verlässt ihren Körper nicht, sondern schwächt ihn von Tag zu Tag mehr.“
    „Ist sie bei Bewusstsein?“
    „Wenn Ihr Glück habt, ist sie ansprechbar. Aber es kommt immer seltener vor.“ Chrotesina nahm sich einen Holzeimer voll Wasser und wandte sich dem nächsten Kranken zu.
    Radegunde trat an Salomés Lager. Die Stirn der Patientin war schweißbedeckt. Sie griff nach dem Lappen, der in einer Schale neben dem Kopfende bereitlag. Vorsichtig tupfte sie der jungen Frau das Gesicht ab. Am Hals entdeckte sie lauter Schnittwunden, die jedoch anscheinend gut verheilten. Auch die Schnitte unter den Achseln und in der Leistengegend schienen keine Probleme zu bereiten.
    „Gute Arbeit, Chrotesina!“, sagte sie über die Schulter hinweg.
    Die kleine Frau trat zu ihr. „Wisst Ihr, ich bete jeden Tag zu Gott und seinem Sohn Jesus Christus, dass sie uns helfen mögen. Und ich danke ihnen, dass sie mir meinen einzigen Sohn gelassen haben. Was ich hier tue, kann nur einen kleinen Teil meiner Schuld begleichen.“
    In diesem Moment schlug Salomé die Augen auf. Verwirrt betrachtete sie die Frau, die ihr die Stirn kühlte. „Herrin? Ich dachte … Ihr seid

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