Radieschen von unten
einen Kurs machen. Können Sie mir eine Tanzschule empfehlen?«, fragte Elfie.
»Da kenne ich mich leider nicht aus. Wir tanzen immer zu Hause. Juliane mag das Gedränge bei Veranstaltungen nicht. In unserer Empfangshalle ist dagegen reichlich Platz. Aber bitte verraten Sie das niemandem. Für Außenstehende mag das taktlos klingen.«
»Keine Angst, ich kann schweigen wie ein Grab«, versicherte Elfie. »Dann hat wohl Ihre Mutter Ihnen das Tanzen beigebracht.«
»Juliane ist eine begabte Tänzerin. Früher war sie beim Ballett. Dann lernte sie meinen Vater kennen, der sie für den Tango begeistert hat. Er war Argentinier.« Carlos stockte und fuhr sich mit der Hand durch sein dunkles Haar, offenbar ein Erbe väterlicherseits. »Aber lassen wir das. Jedenfallshatte ich jahrelang Privatunterricht bei erfahrenen Tangotänzern.«
Die Eingangstür ging. Carlos sprang auf, anscheinend froh über die Unterbrechung, und eilte in die Halle.
Elfie stand ebenfalls auf und wollte zurück an ihren Arbeitsplatz gehen. Doch im Flur kam ihr Carlos mit einem großen, kräftigen Mann entgegen, dessen Vollbart verschiedene Farbtöne von Rotblond über Hellbraun bis Grau aufwies. Seine Haare leuchteten karottenrot.
»Das ist Martin Ritter, einer unserer Bestattungshelfer«, stellte Carlos vor. »Und das ist Frau Ruhland, die unsere Steuerprüfung vorbereitet.«
Elfie streckte die Hand zur Begrüßung aus.
Martin Ritter umfasste sie mit seinen beiden riesigen Händen.
»Nett, Sie kennenzulernen«, sagten beide gleichzeitig.
Schon wieder war die Eingangstür zu hören. Carlos ging in die Empfangshalle zurück und schloss die Türen hinter sich.
»Der Drache ist wohl ausgeflogen«, sagte Martin Ritter, nachdem er einen Blick in das Chefbüro geworfen hatte. »Typisch. Da bestellt sie mich hierher, und dann ist sie nicht da.«
Die Bezeichnung Drache fand Elfie ausgesprochen passend. Ritter wurde ihr zunehmend sympathischer.
»Kommen Sie doch mit ins Büro. Alle anderen sind unterwegs. Ich mache uns einen Kaffee.«
»Danke, gern«, erwiderte Ritter erfreut. »Ich nehme einen doppelten Espresso. Die Kaffeemaschine ist hier der einzige Lichtblick für die Angestellten. Aber die haben wir nur Carlos zu verdanken. Die Anschaffung war seine erste Amtshandlung, nachdem ihn seine Mutter zum Teilhaber gemachthat. Vorher gab es nur einen altersschwachen Tauchsieder.«
Auch wenn Elfie Ritters Abneigung gegen Juliane voll und ganz teilte, meinte sie dennoch, der Wahrheit die Ehre geben zu müssen. »Frau Knörringer hat auf Sie gewartet, musste dann aber zu einem anderen Termin.«
Ritter sah auf seine Uhr. »Wie legt die denn ihre Termine? Sie hat zu mir gesagt, ich soll um halb fünf kommen. Jetzt ist es gerade ein paar Minuten später.«
»Das war wohl ein Missverständnis«, warf Elfie ein, während sie den Kaffee aus der Maschine ließ. »Frau Knörringer hat Sie um vier Uhr erwartet.«
Ritter lachte. »Sie sind aber gutgläubig. Warten Sie nur, bis Sie unseren Drachen richtig kennen. Bei der gibt es keine Missverständnisse. Sie ist die Bosheit in Person. Ich wette, sie nennt absichtlich falsche Zeiten, damit sie mir hinterher Unpünktlichkeit vorwerfen kann. Bei der Zusammenarbeit mit Carlos funktioniert die Absprache reibungslos. Wenn wir einen Verstorbenen von zu Hause abholen, kommen wir immer ungefähr gleichzeitig dort an. Ganz anders bei der Chefin. Die ruft mich so spät an, dass sie grundsätzlich vor mir da ist. Dabei lasse ich sofort alles stehen und liegen, wenn sie anruft. Heute hatte ich mir gerade die Haare gefärbt.«
Verlegen fasste er an seine Pumuckl-Frisur. »Ist leider etwas danebengegangen. Eigentlich wollte ich nur mein Rotblond ein wenig auffrischen, nachdem sich an den Schläfen langsam die ersten grauen Haare zeigen. Na, das kriege ich schon wieder hin.«
Elfie amüsierte sich insgeheim, dass sich heutzutage auch Männer die Haare färbten. Aber warum eigentlich nicht? Außerdem wusste sie jetzt, dass Ritters unpassendes Auftretenauf Julianes Konto ging, weil sie ihn unter Zeitdruck gesetzt hatte. Sie ging mit den Tassen ins Büro.
»Aber warum sollte Frau Knörringer Sie absichtlich zu spät benachrichtigen?«, fragte Elfie.
Ritter folgte ihr und setzte sich an Bornekamps Schreibtisch. »Dann kann sie hinterher auf mir herumhacken. Wahrscheinlich gibt ihr das einen Kick. Außerdem will sie wahrscheinlich die Hinterbliebenen ohne Zeugen bearbeiten. Im Verkaufen ist sie ganz groß. Die Absprachen sind
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