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Radikal

Radikal

Titel: Radikal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yassin Musharbash
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wurden und die Ordner drängten, alle, die so weit waren, sofort einzulassen, damit sie anfangen konnten, die Gäste nach Fernseh-Gesichtspunkten zu platzieren. Es wäre, das gaben auch der unter Schock stehende Ordner und die zerknirschte Produktionsassistentin in ihren Aussagen unumwunden zu, ohne Weiteres möglich gewesen, ohne vorherige Anmeldung, ohne Kontrolle und ohne seinen Namen zu nennen, in das Studio zu kommen.
    Irgendwo in dem Pulk derer, die als Gäste zum Morgenmagazin wollten, so malte Dengelow es sich aus, hatte auch ein unscheinbarer Mann mit einer Jutetasche und einem knappen Kilo TATP unter dem Arm gestanden. Unscheinbar deshalb, weil er niemandem aufgefallen war: Keiner der vernehmungsfähigen Gäste, die bisher befragt worden waren, konnte sich an einen Mann oder eine Frau erinnern, der oder die eine solche Tasche bei sich gehabt hatte.
    Dengelow fiel es nicht schwer, sich in den Bombenleger zu versetzen. Deutlich sah er die Szene vor sich – und die Gelegenheit, die sie dem Attentäter bot: Dutzende aufgeregte Rentner, drei von ihnen mit Rollatoren, und einer dieser Rollatoren, der von Fritz Buderus, hatte sogar einen Drahtkorb, in dem schon mehrere Plastiktüten und Jutetaschen lagen. Anders als die Trage- und Handtaschen, dieden übrigen Gästen vor der Platzierung an den Bistrotischen im TV – Studio abgenommen wurden, würde niemand die Gehhilfen der Gebrechlichen einkassieren – darauf konnte der Bombenleger setzen. Der Rollator würde also ins Studio rollen. Und mit ein bisschen Glück sogar in der Nähe von Lutfi Latif platziert werden, groß war das Studio ja nicht. Da war es, das perfekte Vehikel für den Sprengsatz! Nun musste der Attentäter nur noch unauffällig in der Nähe des ausgespähten Rollators warten, bis der Besitzer und alle in seiner unmittelbaren Umgebung kurz abgelenkt waren. Und als – ein weiteres Himmelsgeschenk – der besagte Rentner aus dem Bus fiel, da blieb dem Attentäter nur noch ein einziger schneller Handgriff auszuführen: die Jutetasche rasch in den Drahtkorb von Franz Buderus gleiten lassen.
    Danach hieß es blitzschnell und unauffällig abtauchen, vielleicht irgendwohin, wo die Sendung im TV übertragen wurde. Um dann, im richtigen Moment, die Handynummer zu wählen, die die Explosion auslösen würde. Bumm.
    ***
    Es tat Sumaya leid, dass sie Samuel so verwirrt zurückgelassen hatte. Vielleicht wäre es besser gewesen, gar nichts zu sagen, nichts über Kartoffeln und Ölaugen, über ihre Angst und ihre Sorge. Aber die Worte waren einfach aus ihr herausgeflossen, auch wenn sie selbst nicht genau wusste, was sie meinte. Sie hatte ihn an der Balkonbrüstung stehen sehen, schlotternd in seinem T-Shirt, ganz in Gedanken, und sie konnte einfach nicht anders, als ihn zu umarmen. Es fühlte sich gut an, sehr gut sogar, als sie ihren Kopf an seinen Rücken schmiegte. Vielleicht, dachte sie jetzt, während sie die Skalitzer Straße hinunterlief, hat es sich auch einfach zu gut angefühlt. Natürlich will ich geliebt werden. Und lieben. Ich will nicht alleine sein. Und ich mag Samuel. Ich mag ihn wirklich. Aber … Ja, Susu, gib es zu : Du hast Angst, dass er dich nicht versteht. Und schlimmer noch: Dass er dich nicht verstehen kann. Und noch schlimmer, wenn das überhaupt geht: Dass niemand, überhaupt niemand, dich verstehen kann.
    Ratternd und quietschend fuhr eine U-Bahn an ihr vorbei. Zweijunge Frauen mit Kopftuch und Kinderwagen kamen ihr auf dem Bürgersteig entgegen. Im Café Morgenland, zu ihrer Linken, saß die übliche Kreuzberger Mischung beim Samstagsbrunch: Studenten, Studienräte, drei Punks in den Vierzigern, ein paar Paare mit ihren Kleinkindern. Und wie passe ich hier herein? Bin ich eher wie die beiden Schleiereulen? Oder eher wie die Studenten dort, die den Globus lesen? Ich bin ich . Ja: Du bist du. Aber wem hilft das?
    Ich will doch nur verstanden werden, auch wenn das albern klingt. Ich will, dass Samuel versteht, wie es ist, wenn ich nachts wach liege und mich frage, ob ich hier richtig bin oder ob ich nicht dort sein müsste. Wenn ich mich frage, was ich glaube . Wenn ich mich frage, wie ich ein Leben führen kann, das niemanden vor den Kopf stößt: meinen Vater nicht. Meine Tante Lubna nicht. Meine Freunde nicht. Mich nicht. Ich muss es allen recht machen. Ich will es allen recht machen. Ich könnte so viel sein. Ich könnte mich verschleiern, nichts einfacher als das! Ich könnte eine Schlampe sein, warum nicht? Ich könnte mir

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