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Radikal

Radikal

Titel: Radikal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yassin Musharbash
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blieb ihm letzten Endes auch für Leo. Und, wenn es denn wirklich so wichtig war, dann in Gottes Namen eben auch für Agnes und ihren Kreuzberger Schamanen.
    Der Täter, das war Ansgar Dengelow mittlerweile klar, war außerordentlich intelligent. So jedenfalls deutete er seine Beobachtungen, und aus dem Vermerk eines Profilers vom LKA Berlin wusste er, dass er damit nicht alleine war. Die Zünder, das hatte die Spurensicherung inzwischen abschließend festgestellt, stammten aus tschechischer Produktion. Wer sich ein wenig auskannte, der würde sie vermutlich ohne größere Schwierigkeiten auf einem Schwarzmarkt in Polen, Tschechien oder Ungarn besorgen können, bestimmte Flohmärkte in Deutschland wären als Bezugsort auch denkbar. Der Bombenbauer, der ja immer noch jemand anders als der Bombenleger sein konnte, hatte zwei Zünder verbaut, das war Standardvorgehen, oft wurden sogar drei empfohlen. Mehr hatte er vielleicht nicht bekommen. Aber das wussten sie nicht. Vielleicht hatte er auch zehn gekauft, und vier weitere Bomben wurden gerade präpariert.
    Doch so schnell die Kollegen auch gearbeitet hatten, aus den Zündern allein ließen sich nur schwer Ermittlungsansätze entwickeln. Nur ein Hinweis, den Dengelow selbst in den internen Verteiler der Besonderen Aufbauorganisation ( BAO ) »Zypresse« eingespeist hatte, wurde derzeit noch von den Kriminaltechnikern des BKA überprüft. Denn auch die verhinderten Bombenleger der Sauerland-Gruppe hatten 2007 eine Charge tschechischer Zünder importiert. Falls die Zünder aus der Siegfried-Passage typengleich mit den Asservaten von damals waren, vielleicht sogar gleich alt, würde sich daraus eventuell doch noch ein Ansatzpunkt ergeben. Das musste jedoch abgewartet werden. Zuversichtlich war Dengelow nicht.
    Der Bombenleger aber faszinierte ihn. Denn alles deutete darauf hin, dass es ihm gelungen war, den Sprengsatz in das Studio zu schmuggeln, ohne dass er ihn selbst dort hatte ablegen müssen. Der Sprengstoff war in eine schwarze Plastiktüte eingewickelt und diese wiederum in einer weißen Jutetasche verborgen gewesen, so viel war mittlerweile klar. Und diese Jutetasche hatte zum Zeitpunkt der Explosion im Drahtkorb eines Rollators gelegen, der einem 76-jährigen Rentner aus Herne gehört hatte.
    Das hatten die Tatort-Experten herausgefunden, wozu sie, eine grausige Arbeit, die Position der Leichen und den Grad der Zerstörung der Möbel ebenso in ihre Berechnung miteinbezogen hatten wie die Spritzmuster von Blutflecken an den Wänden und die Verteilung von Körpermasse im Raum. Der Rentner, ein ehemaliger Bergmann namens Fritz Buderus, war bei der Explosion getötet worden und konnte nicht mehr befragt werden. Seine Ehefrau hatte schwer verletzt überlebt. Es war sonnenklar, dass das Ehepaar völlig unverdächtig war.
    Dengelow hatte die Zeugenaussage von Erna Buderus gelesen. Die beiden waren Teil einer 43-köpfigen Berlin-Reisegruppe der Arbeiterwohlfahrt Herne gewesen, drei Tage und zwei Übernachtungen für 99 Euro, und als Höhepunkt vor der Rückreise: ein Besuch beim 2 TV – Morgenmagazin. Das Programm hatte Monate vorher festgestanden; niemand der Teilnehmer hätte damals wissen können, dass Lutfi Latif an diesem Tag im Studio sein würde. Die Ehefrau des getöteten Rentners hatte immer noch nicht verstanden, dass der Anschlag »diesem netten Türken« gegolten hatte.
    Wie genau die Jutetasche in den Korb der Gehhilfe gelangen konnte, hatten die Kollegen unterdessen noch nicht aufklären können. Sicher war, dass am Einlass der Siegfried-Passage, eine halbe Stunde vor Beginn der Live-Sendung, mittelmäßiges Chaos geherrscht hatte. Den ersten Zeugenaussagen zufolge hatte der Ordner sich beschwert, weil mehrere angemeldete Besucher nicht erschienen waren. Eine Praktikantin hatte deswegen Unter den Linden Touristen angesprochen und spontan als Publikumsgäste eingeladen. Einige hatten die Einladung angenommen. Nicht zuletzt deswegen war es unmöglich, eine vollständige Liste der Besucher der Live-Sendung zusammenzustellen. Die Situation war umso unübersichtlicher gewesen, als etliche Mitglieder der Herner Reisegruppe gebrechlich waren – sie hatten deshalb sehr lange zum Aussteigen aus dem Bus gebraucht und den Zugang verstopft, sodass unklar war, wer schon registriert war und wer nicht. Ein Mann stürzte beim Aussteigen aus dem Bus und hielt die aufgekratzte Gruppe für weitere zehn Minuten auf, sodass die Produktionsleiter der Sendung bereits nervös

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