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Radio Heimat

Radio Heimat

Titel: Radio Heimat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
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standesamtlich registriert, aber schon Mitglied in zwei Vereinen! Naja, eher Mitglied in einem Verein und einer kriminellen Vereinigung, aber egal.
    Die fassungslose Stille, die sich beim Spiel gegen Wolfsburg nicht nur wegen des Ergebnisses, sondern vor allem wegen dieser Geschichte in Block B ausgebreitet hatte, wurde von einem der Beisitzenden mit den Worten gebrochen: »Dat muss ja ne Granaten-Olle sein, wenn der dat mit der aushält!«
    Und mein Kumpel Scotty hob die Angelegenheit auf eine allgemeine Ebene: »Ehrlich, datt gibbet nur bei uns inne Gegend!«
    Wir alle haben versprochen, bei der sittlichen Erziehung des Jungen zu helfen und halten ihm jetzt schon mal einen Platz in unserer Mitte warm.
     

Spielen statt arbeiten!
    Und wenn man den Leuten dann endlich klargemacht hat, dass der Himmel über der Ruhr längst wieder blau ist; dass es Menschen hier gibt, die durchaus grammatisch unbedenkliche Sätze hinkriegen - wenn sie es wollen; dass wir mehr als Currywurstpommes auf dem Speiseplan haben, bisweilen sogar rohen, japanischen Fisch; wenn man also all diese Klischees als das entlarvt hat, was sie sind, Klischees eben, dann lebt eines immer noch fort, die Vorstellung nämlich, dass Fußball im Ruhrgebiet nicht gespielt, sondern GEARBEITET wird. Und dass die Fans das auch so WOLLEN!
    Stellvertretend für meine Stadionkolleginnen und -kollegen aus Block B, also für Scotty, den Bootsmann, den Coach, Aule, den Cherusker und seine zwei Brüder, Babs und Bärbel und Cossi und nicht zuletzt meine beiden Söhne, rufe ich Fußballdeutschland von dieser Stelle ein energisches
     
    NEIN!
     
    entgegen. Auch wir wollen schönen Fußball sehen! Wir lieben und wir fordern das gepflegte Kurzpassspiel, traumhaft sichere Kombinationen, bei denen der überforderte Gegner nur noch mit dem Kopf schüttelt. Wir verzehren uns nach Lupfern, Beinschüssen und eleganten Dribblings, nach No-Look-Pässen aus dem Fußgelenk, nach Hackentricks brasilianischer Prägung! Auch wir stöhnen auf vor Begeisterung, wenn unser Mittelfeldregisseur den Ball mit der Brust stoppt, ihn mit dem Knie über den verdutzten Gegner hebt und die Pocke gleich volley in den Winkel jagt! Wir applaudieren, wenn unser Stürmer einen genialen Pass über vierzig Meter mit dem Fuß ansaugt, ohne dass der Ball auch nur fünf Zentimeter vom Schuh springt!
    Klar ist auch: Wenn das mit dem Zauberfußball nicht hinhaut, weil der Gegner besser ist, das Gras zu hoch oder das Wetter zu schlecht, dann wollen wir, dass die Wiese brennt, dass die Jungs sich den Arsch aufreißen, keinen Ball verloren geben und so lange rennen, bis sie unters Sauerstoffzelt müssen, denn sie werden verdammt gut dafür bezahlt, aber:
     
    DAS LIEGT NICHT DARAN, DASS UNSERE OPPAS IM BERGBAU ODER IM STAHL GEARBEITET HABEN!
     
    Denn das will auch der Fan in Braunschweig, Bremen oder Berlin, in Freiburg, Frankfurt oder Fischbach, in Düsseldorf, Dresden oder Darmstadt! Auch im Ruhrgebiet heißt es Fußball SPIELEN!
    Ich hoffe, das haben wir jetzt ein für alle Mal geklärt!
     

Der Salon des kleinen Mannes
    Was dem gebildeten Bürgertum des neunzehnten Jahrhunderts sein Salon war, ist dem vom Proll mit Klo auf halber Treppe zum Kleinbürger mit Eigenheim aufgestiegenen Ruhrmenschen der Partykeller - der Salon des kleinen Mannes. Unsere Familie hatte keinen. Wir fielen in die dritte Kategorie: Handwerker mit Schrebergarten, aber das ist, im wahrsten Sinne, eine andere Geschichte.
    Die Gestaltung des unterirdischen Festareals ließ bisweilen besorgniserregende Rückschlüsse auf die Persönlichkeitsstruktur seiner Betreiber zu. Grundsätzlich würde ich zwischen drei Arten von Partykellern unterscheiden.
    Sehr beliebt war die Variante, die sich im Keller des Reihenendhauses von Pommes' Eltern fand: holzgetäfelt vom Boden bis zur niedrigen Decke, aufgehübscht mit den signierten Autogrammkarten von deutschen Schlagerstars, die Pommes' Vater mit verzweifelter Leidenschaft sammelte. Herr Jendritzki arbeitete bei der Stadtverwaltung im Planungs- und Katasteramt, was wahrscheinlich eine so dröge Angelegenheit war, dass er im Privatleben ein wenig Spannung und Romantik brauchte. Damals habe ich das so hingenommen, aber im Nachhinein macht man sich so seine Gedanken, wenn man sich daran erinnert, wie ein verheirateter Mann umflorten Blickes mit den Fingern über ein unterschriebenes Porträtfoto von Freddy Breck streicht. Überhaupt waren die Männer in dieser Sammlung eindeutig in der Überzahl:

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