Radio Miracoli und andere italienische Wunder
weil es uns Spaß macht. Denn sobald er in Angstrausch verfällt, fängt er an zu zittern, zu schwitzen und zu stammeln. Manchmal, wenn er besonders erregt ist, verändert sich sogar seine Stimme.
»Ich habe bereits alles mehrfach durchdacht«, erwidert Claudio und knetet ein Stück Brot. »Irgendwann wird jemand kommen, um ihn zu suchen. Vielleicht glaubt er uns, dass wir ihn nicht gesehen haben, aber bald darauf wird er zurückkommen, um den Pizzo von uns zu verlangen. Und dann werden wir zahlen müssen … und mit dem Schutzgeld wird es drei Jahre dauern, bis wir unsere Auslagen zurückbekommen und uns aus dem Staub machen können. Und wenn wir diesen armen Kerl bis dahin im Keller gefangen halten, werden wir danach kaum mehr zur Polizei gehen und behaupten können, wir hätten einen Verbrecher gefasst. Das ist dann Entführung. Das heißt, es ist jetzt schon eine Entführung. Und damit ist noch nicht einkalkuliert, dass der Gefangene ein alter Mann ist und krank werden könnte. Oder andere Variante, dass er trotz seines Alters versuchen könnte zu fliehen. Wir werden ihn pflegen und bewachen müssen, wodurch sich wiederum die Arbeit in die Länge zieht, aber angesichts unserer wirtschaftlichen Situation können wir es uns einfach nicht erlauben, an Weihnachten immer noch geschlossen zu haben.«
»Perfekte Analyse, Genosse!«, meint Sergio, der aus irgendeinem unerfindlichen Grund sehr angetan davon ist.
»Aber können wir nicht darauf hoffen, dass wir für diese Leute nur kleine Fische sind und dass sie uns, wenn wir Glück haben, vielleicht vergessen werden?«, wende ich ein.
»Du meinst – Camorristi mit Gefäßverkalkung?«, spottet Fausto.
»Ich wäre nicht so optimistisch. Sicher, für die sind wir keine große Sache, und vielleicht sind sie auch nicht allzu intensiv hinter uns her, aber früher oder später kommen sie wieder«, meint Sergio.
»Wie dem auch sei. Ich sehe auf uns zukommen, dass uns die Situation irgendwann über den Kopf wachsen wird. Ganz bestimmt sogar. Und zwar genau dann, wenn wir am wenigsten damit rechnen«, beschließt Claudio seine Analyse.
Alles hat seine Grenzen, auch der Respekt, den wir unserem Schamanen entgegenzubringen bereit sind. Schweigend stehen wir auf, verlassen den Tisch, eine Hand am Hosenlatz (soll gegen den bösen Blick helfen, heißt es), und kehren an unsere Arbeit zurück. Punkt Nummer sechsunddreißig ist an der Reihe: »Entfernung des Efeubewuchses.« Während ich für Sergio die Leiter halte, schaue ich mich um. Ich sehe Abu, der Tomaten pflückt, sehe das Anwesen, das allmählich Gestalt annimmt, sehe Fausto und Claudio, wie sie die abgeschnittenen Efeuranken in einen Sack stecken, ohne zu bemerken, dass dieser an der Seite aufgerissen ist. Und so ganz allein am Fuß der Leiter stehend, stelle ich mir die Frage, weshalb mir eigentlich nichts fehlt, nicht einmal die nächste, längst überfällige Lebensabschnittsblondine.
21
Seit einer Woche arbeiten wir auch nachts. Abu, Samuel und Alex kommen so gegen zehn Uhr abends und werkeln bis zwei Uhr auf dem Dach herum. Um diese Zeit sollten wir eigentlich längst im Bett liegen, aber keiner von uns protestiert. Der Gedanke, dass diese drei armen Schweine morgen früh um sechs Uhr wieder auf den Tomatenfeldern stehen werden, verleiht uns die Kraft zum Weitermachen. Die drei arbeiten ohne Pause durch, für denselben Lohn, den sie auch als Erntearbeiter bekommen. Es ist jämmerlich wenig, was natürlich Faustos Argwohn erregte, woraufhin er ihnen die ersten Tage überraschende Kontrollbesuche abstattete. Jedoch ohne Ergebnis. Zu seinem Verdruss schreitet die Reparatur rasch voran, und die Arbeiten werden sachgemäß ausgeführt. Die Elektroinstallation ist fertig, und wie vereinbart, haben wir die Firma sofort bezahlt. Nachdem wir das Isoliermaterial für das Dach, den Kies für den Hof, die Wandfarben und die elektrischen Geräte für die Küche gekauft haben, ist unser letztes Geld dahin. Und dabei ist die Frage mit dem Heizkessel noch immer ungelöst. Um zu sparen, unterziehen wir uns einer strengen Diät. Addio Wurst, Steak und Käse, jetzt gibt es mittags und abends nur noch Pasta, und der Wein kommt aus dem Karton.
Sergio und Fausto liefern sich weiterhin täglich ihre Ritterturniere, sodass für Claudio und mich nur die Handlangerdienste übrig bleiben. Claudio ist für die Reinigungsarbeiten im Allgemeinen zuständig, während ich mit einem Eimer voller Gips durch das Haus laufe auf der Suche nach
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