Radio Miracoli und andere italienische Wunder
Zurück mehr! Holen wir uns, was uns gehört, und verteidigen es, verdammt noch mal!«, ruft er
Nun übertreibt er aber ein wenig. Mit seinem anfeuernden Gebrüll, das uns aufrütteln soll, erreicht er genau das Gegenteil.
»Du spinnst doch …«, meint Fausto.
»Wach auf, Fausto! Dein ganzes Leben hast du gegen etwas gekämpft: gegen die anderen Autofahrer, die dir den Parkplatz wegnehmen wollten, gegen wütende Kunden, gegen die kaputte Fernbedienung! Jetzt kannst du endlich für etwas kämpfen, das auch noch wichtig ist! Wach auf! Es heißt, wir gegen die anderen!«
Es passiert einfach zu viel auf einmal. Ich muss eine Weile allein sein. Ich verlasse das Haus und nütze die Gelegenheit, um mich zu vergewissern, dass die Giulia für immer verstummt ist. Es weht ein leichter Wind. Das hohe, trockene Gras raschelt und knistert, als die Böen darüber hinwegstreichen. Ich laufe ein paar Minuten auf und ab, bis ich das ferne Echo einer Flöte zu vernehmen meine. Ich drehe mich um und verharre reglos, aber jetzt ist nur noch das Rascheln des trockenen Grases zu hören. Dann plötzlich wieder die Flöte, drei aufsteigende Töne, der letzte Ton sehr lang gezogen. Ich lege mich auf die Erde, und zu den ansteigenden Tönen der Flöte gesellen sich mehrere tiefe Seufzer. Langsam entspanne ich mich und überlege mir, dass Sergio, unser Kommunist und Psychopath, vielleicht doch nicht ganz unrecht hat. Klar bin ich auch schon auf die Idee gekommen, dass mein bisheriges Leben beschissen gewesen sein könnte. Die Camorra herauszufordern mag vielleicht nicht der naheliegendste qualitative Sprung sein, aber tief in mir habe ich mir immer gewünscht, mich größeren Herausforderungen zu stellen, gegen die meine innere Unruhe bedeutungslos wäre. Zu den Seufzern gesellt sich eine Partie wütender Streicher, über die sich schließlich die Stimmen meiner Kompagnons legen, die gerade aus dem Haus treten, um sich erneut an die Arbeit zu machen.
»Punkt Nummer elf!«, ruft Claudio mir zu.
»Dachrinne Nordflügel!«, fügt Fausto hinzu.
»Ist die Batterie endlich leer?«, fragt Sergio.
20
Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass ich spätestens an diesem Punkt mein altes Leben, die Stadt und meine alten Gewohnheiten vermissen würde. Aber ich habe mich getäuscht, auch wenn ich hier nichts von dem gefunden habe, was ich mir erhofft hatte. Ich wollte ein ruhigeres Leben führen, und stattdessen sehe ich mich mit einem Problem nach dem anderen konfrontiert. Ich wollte alle Mittelmäßigkeit hinter mir lassen, doch bis zu diesem Augenblick habe ich nichts zuwege gebracht, auf das ich stolz sein könnte. Ich wollte Abenteuer erleben, und die Situation ist wahrhaft nervenaufreibend genug, aber darunter hatte ich mir etwas anderes vorgestellt. Trotzdem verspüre ich kein Heimweh. Vielleicht, weil es immer so viel zu tun gibt und ich noch nicht die Zeit hatte, mich länger im Badezimmerspiegel anzuschauen. Ohne diese Idee mit dem Agriturismo säße ich um diese Uhrzeit zum Aperitif an einem der eisernen Tischchen vor einem Lokal im Zentrum von Rom, würde mit meinen Freunden plaudern, ein paar gewichtige Kommentare über die gerade aktuelle Lebensabschnitts-Blondine abgeben und dann zufrieden nach Hause gehen. Stattdessen hocke ich hier an einem alten Küchentisch mit drei Typen, die ich kaum kenne. Vier Gläser mit offenem Wein, ein Teller mit Brot und Öl, daneben eine Packung Erdnüsse – alles ohne besondere Sorgfalt arrangiert. Die bunten Cocktails, die Fruchtspieße am Glasrand, die Häppchen und der Couscous – warum fehlt mir das eigentlich nicht?
Fausto wirft eine Erdnuss in die Luft und reißt den Mund auf. Die Nuss trifft seine Nase und fällt auf den Fliesenboden. Fausto betrachtet die Nuss mit Gönnermiene, als hätte sie die Landung verbockt und nicht er den Abwurf.
»Es ist wichtig, sich vorher alle möglichen Szenarien auszumalen, damit wir nicht kalt erwischt werden«, erklärt Sergio.
»Das ist dein Spezialgebiet, Claudio. Los, spuck schon alle Katastrophen aus, die dir einfallen«, fordert Fausto und probiert die Nummer mit der Nuss ein weiteres Mal.
Das hört sich albern an, ist aber eine ernst gemeinte Bitte. In der letzten Zeit haben wir Claudios Phobien zu schätzen gelernt und begonnen, seine Angststörungen als besonderes Talent zu sehen. Wir haben ihn zu unserem Schamanen erkoren und fragen ihn um Rat, zum einen weil immer irgendwelche Katastrophen passieren, an die wir nicht gedacht haben, zum anderen
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