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Radio Miracoli und andere italienische Wunder

Radio Miracoli und andere italienische Wunder

Titel: Radio Miracoli und andere italienische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Bartolomei
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während das kleine Mädchen wild mit den Händen fuchtelt, um den Klagen der Sippschaft Ausdruck zu verleihen.
    Fausto ist einer Hysterie nahe. Es will ihm partout nicht in den Kopf, dass er mit seinem selbstherrlichen Fahrstil hier nicht weit kommt. Als wir die große Piazza erreichen, werden wir Zeugen einer Szene, wie wir sie bestimmt schon Dutzende von Malen in den Fernsehnachrichten gesehen haben: Ein Dorfpolizist macht leere Drohgebärden in Richtung der Autofahrer. Zu dritt auf einem Moped flitzen sie an ihm vorbei, und er unternimmt nichts. Sie hupen, und er reagiert nicht. Was treibt der Mann hier eigentlich? Hampelt für unsere Steuergelder auf der Kreuzung herum? Diese Szene macht in uns jede noch so vage Hoffnung, wir könnten für unser Problem eine konventionelle Lösung finden, zunichte. Wenn die hiesigen Ordnungskräfte es nicht schaffen, von den Autofahrern respektiert zu werden, dann von den Camorristi erst recht nicht.
    Es geht nichts mehr vorwärts und nichts mehr rückwärts. Um dem Stau zu entfliehen, biegen wir in eine kleine Gasse ab. Und hier ist es wirklich romantisch. Der Abstand zwischen den dunklen Fassaden der alten Häuser mit dem bröckelnden Putz beträgt nur wenige Meter, und wie es scheint, werden die Gebäude lediglich von dünnen Leinen zusammengehalten, auf denen schneeweiße Laken hängen. Wir biegen um eine Kurve und sehen uns einer alten Frau gegenüber, die an einem Tisch sitzt. Die Straße bildet quasi den Vorraum zu ihrer Wohnung. Die Frau sieht uns auf sich zukommen, macht aber keine Anstalten, sich zu erheben. Wir beginnen ein waghalsiges Manöver und arbeiten uns Millimeter für Millimeter an ihr vorbei, bis der Seitenspiegel ihren Haarknoten fast streift. Es ist wirklich eine Frage von Zentimetern. Als wir die Alte hinter uns gelassen haben, müssen wir erkennen, dass es jetzt erst richtig losgeht. Sessel, Regale, Gestelle, Fernsehapparate quellen aus den Häusern und Läden in der engen Gasse und verstellen uns den Weg. Während wir den Hindernisslalom fortsetzen, fängt Fausto an, über Ordnung und Disziplin zu reden. Er faselt etwas von starken Männern, von Regeln und Respekt, Kontrolle und Knast. Er steigert sich immer mehr hinein, bis er schließlich bei Panzern und Napalmbomben endet. Ich dagegen fange an, allmählich Sympathie für dieses Dorf voller Aufsässiger zu empfinden, das sich um nichts schert. Vor allem nicht um uns, zwei Schlaumeier aus dem Norden, die über vordergründige Regeln philosophieren, nur damit keiner merkt, welche Abgründe an verrufener Verschlagenheit sich hinter ihrer eigenen Fassade auftun.
    Der Junge, der sich auf einem frisierten Mofa Faustos Geländewagen nähert, ist noch keine zwölf Jahre alt. Er trägt Holzpantinen an den Füßen, und wenn er bremst, berührt er gerade mit einer Zehenspitze den Boden. Ich lächle ihn an. Er zwinkert mir zu und braust beschwingt davon.

19
    Wir haben zwar die Pistole, aber Sergio zieht es vor, sich zusätzlich noch mit einem Sichelmesser zu bewaffnen, ehe er ohne weitere Vorsichtsmaßnahmen die Tür zum Keller aufreißt. Ich hingegen muss meinen ganzen Mut zusammennehmen. Der Mann sitzt ruhig auf der Bank. Zumindest scheint es so, da ich sein Gesicht nicht sehen kann. Wir schleppen ein Sprungfedergestell und eine Matratze hinein, und während Sergio ein Loch für einen Türspion bohrt und eine Weitwinkellinse installiert, mache ich das Bett. Ich arbeite sorgfältig und in der naiven Hoffnung, dass eine perfekt umgeschlagene Decke und ein akkurat aufgeschütteltes Kissen unseren Gefangenen milder stimmen könnten. Nachdem Sergio den Türspion eingebaut hat, legt er letzte Hand an die äußere Isolierung der Tür. Ich lasse mir alle möglichen Ausreden einfallen, um wieder nach oben gehen und dem peinlichen Blick des Alten ausweichen zu können. Dreimal muss ich allein wegen eines Stücks Seife, einer Rasierklinge und eines Handtuchs laufen. Als ich mit einem Raumduft wieder nach unten komme, höre ich Sergios Stimme.
    »Wie heißt du?«, fragt er den Mann zwischen zwei Hammerschlägen.
    Beim Betreten des Kellerraums sehe ich, dass der Alte auf dem Bett liegt und an die Decke starrt.
    »Bekomme ich keine Antwort?«
    Der Camorrista lächelt eisig. Sergios Tonfall lässt Versöhnungsbereitschaft durchklingen. Der Gedanke, dass auch er Angst haben und versuchen könnte, den Mann zu besänftigen, jagt mir einen kalten Schauer über den Rücken.
    » Cazzo , du bist ja wirklich nicht ganz richtig in

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