Radio Miracoli und andere italienische Wunder
Rissen und Löchern zum Zuspachteln. Die Arbeit gefällt mir. Ich tauche meinen Finger in den frisch angerührten Gips, verteile die Masse in den Fugen und streiche anschließend mit dem Spachtel darüber, um alles zu glätten. Hätte mir bei meinem Vater doch nur eine ähnliche Technik zur Verfügung gestanden, um seinen kranken Körper zu reparieren – ich hätte Jahre damit zubringen können: Finger in den Gips, Masse in den Riss, Spachtel drüber. Finger in den Gips, Masse in den Riss, Spachtel drüber. Finger in den Gips, Masse in den Riss, Spachtel drüber. Auch unter einem Fensterbrett im ersten Stock entdecke ich einen winzigen Sprung und tauche meinen Finger in den Gips. Als ich mich dem Fenster nähere, um den Riss zu füllen, gerät eine Staubwolke in mein Blickfeld.
»Da kommt jemand!«, rufe ich laut.
Sergio, der direkt unter mir im Garten arbeitet, schaut Richtung Straße, dreht sich um und gibt mir zu verstehen, dass ich mich ruhig verhalten soll. Aber wenn er sich einer Sache annimmt, ist es mit meiner Ruhe vorbei. Ich stürze die Treppe hinunter. Im Wohnraum treffe ich auf Claudio, der aus dem Fenster starrt.
»Wer kommt da?«, fragt er mit dünner Stimme.
»Ich kümmere mich darum, du gehst nach oben … ich habe den Eimer mit dem Gips nicht zugemacht«, sage ich.
»Soll ich hinaufgehen?«
»Ja. Jetzt verschwinde schon.«
Ich warte, bis er die Treppe hinaufgeht, und wende mich Richtung Tür. Auf dem Hof ist mittlerweile ein großer Motorroller mit zwei jungen Männern zum Stehen gekommen. Sergio ist schon da, nur einen Schritt entfernt, und ich greife mir eine Gazzetta dello Sport , um einen Grund für mein Erscheinen zu haben, und setze mich auf einen Stuhl.
»Guten Tag«, sagt Sergio.
»Tag«, erwidert der Schmächtigere von beiden.
Der Kerl dürfte so um die zwanzig Jahre alt sein, besteht nur aus Haut und Knochen und hat Augen, so groß, dass sie nicht einmal von seiner überdimensionalen Sonnenbrille verdeckt werden. Seine Haare sind raspelkurz geschnitten, und seine Wangen sind so eingefallen, dass man meinen könnte, er sei todkrank, wenn er nicht so herumzappeln würde. Als er nach der Begrüßung von dem Roller steigt, verfällt er zunächst in eine Reihe beeindruckender nervöser Zuckungen: Er kippt den Kopf von einer Seite auf die andere, reckt die Nase in die Luft wie ein Kokainsüchtiger, fummelt am Kragen seiner Jacke herum, richtet sich die Hose, kratzt sich am Kinn und schüttelt erst ein Bein, dann das andere, als wären sie eingeschlafen.
»Habt ihr in den letzten Tagen Besuch gehabt?«, fragt er.
»Hier kommt noch keiner vorbei«, antwortet Sergio.
»Wir haben noch geschlossen«, präzisiert Fausto aus luftiger Höhe. Er steht auf einer Leiter, die an der Mauer lehnt.
Der Schmächtige schaut ungläubig seinen Kumpel an. Der ist vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt, hat eine kleine Narbe über der rechten Augenbraue und einen abgebrochenen Schneidezahn, was ihm ein eher finsteres Aussehen verleiht. Im Gegensatz zu seinem Freund verharrt er reglos und mustert uns aus halb zusammengekniffenen Augen, während er mit seiner Sonnenbrille spielt.
»Ein alter Mann mit einer grünen Giulia«, fügt der Schmächtige hinzu.
»Ihr seid die Ersten, die hier vorbeikommen«, sagt Sergio.
Der Schmächtige schaut einem nach dem anderen von uns fest in die Augen. Mir wird heiß und kalt, aber offenbar spiele ich meine Rolle gut, denn der Kerl gibt seinem Kumpel ein Zeichen und steigt wieder auf den Motorroller.
»Also dann. Man sieht sich.«
»Auf Wiedersehen«, ruft Sergio den beiden nach.
Kaum sind sie außer Sichtweite, umringen wir Sergio. Drüben auf dem Tomatenfeld sehe ich Abu, der uns beobachtet hat und sich jetzt wieder an die Arbeit macht.
»Haben sie es geschluckt?«, frage ich.
»Klar haben sie es geschluckt. Die können doch nur nach Schema F arbeiten … Erst schicken sie einen, der droht, und warten, dass er mit dem Geld wiederkommt. Wir haben ihnen einen Strich durch die Rechung gemacht, und jetzt wissen sie nicht mehr, wie sie reagieren sollen. Die haben wir ganz schön reingelegt!«, triumphiert Sergio.
22
Eskortiert von Sergio, der wieder mit dem Sichelmesser bewaffnet ist, steige ich mit einem Tablett in der Hand in den Keller hinunter. Wir haben beschlossen, einen Versuch zu starten, mit Vito ins Gespräch zu kommen. Die Situation ist unübersichtlicher geworden, und wer weiß, vielleicht kann er uns helfen, das eine oder andere besser zu
Weitere Kostenlose Bücher