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Radio Miracoli und andere italienische Wunder

Radio Miracoli und andere italienische Wunder

Titel: Radio Miracoli und andere italienische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Bartolomei
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der Birne. Ein höchst interessanter Fall«, lässt sich plötzlich der Alte vernehmen.
    Sergio hört auf zu hämmern.
    »Ah, ja?«, erwidert er und wartet auf eine Antwort, die nicht kommt. Dann fügt er hinzu: »Und warum?«
    »Du bist doch schon eine Leiche auf Urlaub, auch wenn du hier noch herumlaberst«, entgegnet der andere dreist. »Dir müssten die Doktoren mal ins Hirn schauen.«
    Als Junge habe ich mal eine Zeit lang Theater gespielt und weiß daher um die Bedeutung des richtigen Timings. Mit seinen Pausen schafft es der Alte, das Gespräch über alle Maßen dramatisch aufzuladen.
    Sergio hämmert unbekümmert weiter, während ich ins Bad flüchte, um den Raumduft aufzustellen. Dann greife ich mir einen Scheuerschwamm und fange an, das verschmutzte Waschbecken auf Hochglanz zu polieren. Ich komme mir vor wie meine Mutter, wenn sie nervös war. Ab und zu dringen ein paar Wortfetzen zu mir herein, und dann höre ich auf zu putzen.
    »Ich heiße Vito. Und du?«, fragt der Alte.
    In Erwartung seiner Antwort erstarre ich, den Schwamm in der erhobenen Hand.
    »Und du, wie heißt du?«, fährt der Camorrista fort und wiederholt die alte Leier von dem sprechenden Toten.
    Sergios Schweigen schlägt mir auf den Magen, und ich fange wieder an, hektisch zu scheuern.
    »Fragen kann jeder Idiot stellen, aber um Antworten zu geben, muss man schon ein paar Eier in der Hose haben«, höre ich den Alten wieder sagen.
    Ich konzentriere mich auf die Kalkflecken auf dem Wasserhahn.
    »Sag mal, kommst du eigentlich nie auf die Idee, dass Leute wie wir im Recht sind? Dass die Arbeiter das Recht haben, sich gegen ihre Ausbeuter zu wehren?«, lässt sich Sergio endlich vernehmen.
    Das kann doch wohl nicht wahr sein. Wie kommt man dazu, einem Camorrista eine so fundamentale Frage zu stellen?
    »Nein«, antwortet Vito gelangweilt. »Das heißt, eigentlich ja. Um die Wahrheit zu sagen, manchmal denke ich mir das auch.«
    »Und?«
    »Nichts … aber dann denke ich mir, warum soll ich mich deswegen aufregen? Es sind doch alle Gauner. Jeder biegt sich die Gesetze so zurecht, wie es ihm in den Kram passt. Der eine fälscht das Datum auf dem Busfahrschein und fährt noch mal damit, der andere läuft vierzehn Tage mit einer Halsmanschette rum, nur weil ihm einer die Stoßstange verschrammt hat, und ein Dritter steckt seine Stechkarte in den Kasten im Ministerium und geht dann erst mal in Ruhe einkaufen. Alles Gauner. Der Unterschied ist nur, dass ihr Dilettanten seid und ich ein Profi bin. Und Professionalität ist kein Verbrechen …«
    Sergio greift wieder zu seinem Hammer, ich zu meinem Scheuerschwamm. Das ist doch alles sinnlos. Einem Camorrista ist das alles scheißegal, den kannst du mit einem glänzenden Waschbecken nicht beeindrucken. Andererseits, wie kann ein Mensch ganze Familien ruinieren, Kinder zu Waisen machen und Alte in die Verzweiflung stürzen, wenn er nicht fähig ist, dabei ungerührt zu bleiben? Vito hat eine Mauer um sich errichtet, hinter der er sich stark fühlen und nachts gut schlafen kann.
    Auf der Treppe sehe ich, wie Claudio kurz den Kopf durch die Tür steckt. Als wir in die Küche kommen, sitzt er neben Fausto am Tisch.
    »Wie geht es ihm?«, erkundigt er sich bei uns.
    »Wie soll es ihm schon gehen?«, erwidert Sergio.
    »Ist er traurig?«
    »Der und traurig! Er ist stinksauer!«, sagt Sergio.
    Die Antwort, so naheliegend sie ist, bekümmert unseren Freund. Ich setze mich neben Fausto, während Sergio, Selbstgespräche führend, nach der Liste mit den noch zu erledigenden Arbeiten greift.
    »Ihr wisst schon, dass sie ihn suchen werden, oder?«, meint Claudio.
    Sergio kümmert sich nicht um ihn, sondern murmelt vor sich hin. »Punkt sechs: Dachziegel erneuern.«
    »Und wer soll den Mut haben, diesen Typen ins Gesicht zu lügen?«, fährt Claudio fort.
    »Ich bin von Berufs wegen ans Lügen gewöhnt. Wenn ihr das nicht machen wollt, übernehme ich es. Ein Mann? Hier? Nein, welcher Mann? Wir haben noch geschlossen. Vor Weihnachten kommen keine Gäste. Und, was hältst du davon? Ist das überzeugend genug?«, frage ich.
    Eigentlich will ich von Sergio anerkennende Worte hören, aber der lacht gerade höhnisch über Punkt elf: »Dachrinne im Nordflügel ersetzen«, ehe er die Liste sinken lässt, mit der Faust auf den Tisch schlägt und aufsteht.
    Er birst schier vor Tatendrang, und als er unsere langen Gesichter sieht, schaut er uns verblüfft an.
    » Forza, ragazzi , auf! Es herrscht Krieg! Jetzt gibt es kein

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