Radio Miracoli und andere italienische Wunder
verstehen.
Vito sitzt auf seinem Bett und verhält sich ruhig. Als ich ihm das Tablett hinstelle, nimmt er den Deckel vom Teller und fängt mit gesenktem Kopf zu essen an. Das friedfertige Gebaren des Alten veranlasst Sergio, sich einen Stuhl zu holen und sich zu ihm zu setzen. Ich bleibe stehen, die Augen auf den Teller gerichtet. Ganz gewiss hat dieser Punkt im Augenblick nicht oberste Priorität, aber da wir gerade unsere Fähigkeiten als Köche erproben, will ich einfach sehen, ob es ihm schmeckt. Vito schaufelt das Essen schweigend und mit abwesender Miene in sich hinein. Ich kann mich nicht mehr zurückhalten.
»Und, wie schmeckt es?«, frage ich.
Sergio und Vito drehen sich beide fassungslos zu mir um. Sie können nicht glauben, dass ich tatsächlich von der Pasta rede.
»Schmeckt wie Scheiße«, knurrt Vito einsilbig.
»Und was stimmt damit nicht?«, will ich wissen.
»Also wirklich …«, meint Sergio.
»Wir müssen doch wissen, wie das Essen bei unseren Gästen ankommt, oder?«
Mir wird bewusst, dass ich das Wort »Gast« ganz selbstverständlich benutzt habe. Sergio schüttelt verwundert den Kopf. Vito hingegen lacht höhnisch.
»Die Nudeln sind zu weich. Und dann … welcher Idiot tut schon Zwiebeln in die Carbonara?«
»Gehören da keine rein?«, frage ich Sergio.
»Aber nein, natürlich nicht! Das habe ich euch doch gesagt! Aber wen interessiert schon, wie man Carbonara macht … Heute sind zwei Typen auf einem Roller vorbeigekommen, ein Schmächtiger, der andere ein wenig kräftiger mit kaputten Zähnen. Kennst du die?«
»Klar kenne ich die«, entgegnet Vito.
»Und wer sind die? Haben die was zu sagen?«
Vito lacht scheppernd und hustet einen Klumpen Ei auf den Boden.
»Da könnt ihr ganz beruhigt sein. Wenn einer kommt, der wirklich was zu sagen hat, dann kriegt ihr das gar nicht mit.«
»Und die zwei, wer sind die? Kommen die wieder?«
»Das sind zwei kleine Fische wie ich. Aber ihr könnt sicher sein, dass die wiederkommen.«
Der Alte beendet seine Mahlzeit, indem er die matschigen Zwiebelstücke fein säuberlich am Tellerrand aussortiert und dann mit einer Scheibe Brot das restliche Ei und den Speck aufnimmt. Wir werden die Portionen größer machen müssen, denke ich, schließlich sind wir ein Ferienhof und kein schickes Restaurant im Zentrum von Rom.
»Eines verstehe ich nicht …«, sagt Sergio und beugt sich zu Vito. »Warum hast du nie etwas Eigenständiges gemacht, wo du dein eigener Herr bist, statt für eine Organisation zu arbeiten, in der du nur eine kleine Nummer bist?«
Vito lässt das Stück Brot mit der mühsam zusammengekratzten Ausbeute an Ei und Speck auf den Teller gleiten.
»So so … da haben wir also einen Kommunisten. Und einen Träumer«, fügt er, an mich gewandt, hinzu, ehe er sich wieder zu Sergio umdreht.
»Wer von uns ist denn schon sein eigener Herr! Du hast nur die Wahl, ob du mehr oder weniger abhängig sein willst. Ich respektiere nur meine Bosse. Du musst auch dem erstbesten Idioten Respekt erweisen, der eine Uniform trägt.«
Ich hasse es, sprachlos dazustehen und den Trottel zu spielen, dem keine Erwiderung auf eine These einfällt, die auf den ersten Blick vernünftig erscheint, aber zutiefst fragwürdig ist.
Sergio lächelt gönnerhaft. Das ist immerhin eine Antwort. Ich hingegen verliere Zeit, indem ich mir sage: Na ja, im Grunde hat er recht. Es dauert, bis ich zu differenzierteren Überlegungen fähig bin und zu dem Schluss komme, dass es solche und solche Bosse gibt, dass uns aber niemals jemand befehlen wird, Schutzgeld einzutreiben oder den Cousin dritten Grades eines Richters über den Haufen zu schießen.
»Aber jetzt erklärt ihr mir mal was …«, fährt Vito fort und reißt mich aus meinen Gedanken. »Ist das hier eine Entführung oder was? Wollt ihr Lösegeld verlangen? Mir ist nicht ganz klar, was ihr für einen Plan habt.«
Instinktiv schaue ich Sergio an und gebe damit indirekt zu verstehen, dass wir keinerlei Plan haben, oder falls doch, dass ich nicht auf dem Laufenden bin.
»Wir verteidigen unsere Rechte als Arbeiter. Das Recht, nicht ausgebeutet zu werden, um nur einen Punkt zu nennen. Das ist unser Plan.«
Vito betrachtet Sergio ungläubig und schaut mich daraufhin fragend an in der Hoffnung, von mir eine Erklärung zu bekommen. Ich greife nach dem Tablett und verlasse fluchtartig den Keller. Sergio läuft mir nach und sperrt die Tür ab.
» Cazzo . Ich habe nicht ein Wort verstanden! Wollt ihr mir vielleicht
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