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Radio Miracoli und andere italienische Wunder

Radio Miracoli und andere italienische Wunder

Titel: Radio Miracoli und andere italienische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Bartolomei
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Verschönerung wiederum tiefer und bedeutungsvoller erscheinen lässt«, erwidere ich schließlich.
    Manchmal wundere ich mich über mich selbst. Woher habe ich diesen Satz nur? Bisher war ich immer der Ansicht, dass Piercings und Tattoos die Stammeszeichen der Verzweifelten und Perspektivlosen wären. Trotzdem, ich muss mich loben. Ich scheine die Kleine einen Moment aus der Fassung gebracht zu haben.
    »Okay, dann ist dir also tatsächlich noch nie der Gedanke gekommen, wie viele Piercings ich noch haben könnte, die man nicht sieht?«, fährt sie jedoch unbeirrt fort.
    »Offen gesagt, nein.«
    »Schade.«
    »Wieso, hast du noch andere?«
    »Siehst du?«
    Wieder klingt sie weder bitter noch zornig. Sie redet und reagiert völlig unverkrampft, und das bringt mich aus der Fassung. Besser gesagt, es regt mich ziemlich auf, und mir wird klar, dass ich mir wohl ein paar Illusionen gemacht habe, was Elisa betrifft. Menschen, die so schlagfertig und argumentativ überlegen sind wie sie, ertrage ich einfach nicht. Ich bin sensibel und brauche viel Verständnis. Schweigend gehen wir eine Weile nebeneinander her. Unsere Blicke wandern hierhin und dorthin, wobei wir tunlichst darauf achten, dass sie sich auf keinen Fall kreuzen. Zum Glück klingelt bald mein Handy, und Sergio erlöst mich mit der Nachricht, dass die Luft rein ist.

48
    Nachdem die erste Gasrechnung eingetroffen ist und wir jeden Moment mit den ersten Gästen rechnen, haben wir beschlossen, das Haus mithilfe der Kamine aufzuheizen. Das über Monate mühsam angesammelte Holz ist jedoch in wenigen Tagen verfeuert, und jetzt heißt es, wieder in die Hände zu spucken, um einen neuen Vorrat anzulegen. Zusammen mit Claudio verbringe ich einen ganzen Vormittag damit, die untersten Äste der Bäume abzuschneiden und den Kofferraum des Renaults mit unserer Beute zu füllen. Meine Arme schmerzen so sehr, dass ich Probleme habe, das Steuer zu halten. Die kurze Fahrt über träume ich davon, bis zum Kinn im heißen Wasser der Badewanne zu liegen. Gerade rechtzeitig kommen wir zum Haus zurück, um zu sehen, wie eine Gruppe junger Männer und Frauen aus zwei Wagen aussteigt, die im Hof geparkt sind. Sergio steht an der Tür und empfängt lächelnd die Neuankömmlinge. Sie sind zu neunt, plus zwei Hunde. Den Rastalocken und flippigen Klamotten nach zu schließen, kann es sich nur um Freunde von ihm handeln. Man umarmt einander herzlich, und die Hunde schnuppern aufgeregt und warten, dass ihnen eine Hand liebevoll über den Kopf streichelt.
    Zu der Reisegruppe gehören drei Hünen, die es mit Sergio körperlich leicht aufnehmen können, und ein schlaksiger Jüngling, der an seinem Seil einen Hund hinter sich herzieht, der mindestens zehn Kilo mehr wiegt als er. Er ist der Intellektuelle der Truppe – zotteliger Bart und runde Brille. Alle anderen sind Frauen. Fünf Frauen und vier Männer: Ein so günstiges Geschlechterverhältnis habe ich seit Monaten nicht mehr erleben dürfen.
    »Ach, Gott, ist das schön hier!«, kreischt eine der Frauen.
    Lächelnd nähere ich mich der Gruppe, aber ich bin offenbar Luft für sie, bis Sergio sich meiner erbarmt und mich vorstellt. Am überschwänglichsten reagiert eine junge Frau auf mich, eine von der Sorte, die man besser nicht mit zur mamma nach Hause bringt. Mit einer Unmenge Ketten an der Hose und üppigen Ohrgehängen läuft sie Gefahr, bei jedem Gewitter ihr Leben zu riskieren. Sie nennt mir ihren Namen, aber ich vergesse ihn sofort wieder. Ganz im Gegensatz zu dem der nächsten jungen Dame. Eva reicht mir nicht nur die Hand, sondern schaut mir auch jene berüchtigten zwei Sekunden zu lang in die Augen. Das genügt, dass ich mir sofort ausmale, wie wir uns im Gras wälzen und himmlischen Sex miteinander haben. Während einer der beiden Hunde mitten in den Garten kackt, versucht der andere, sich ausgerechnet bei dem Streicheleinheiten zu holen, der am wenigsten dafür geeignet ist: bei Fausto, der in seinem bourgeoisen Kapitalistenanzug in der Tür steht und mit starrem Blick gerade einen persönlichen Albtraum durchleidet.
    »Schaut euch doch schon mal im Garten um. Inzwischen machen wir etwas zu essen für euch«, sagt Sergio.
    Kaum sind wir in der Küche, bestürmen wir Sergio mit Fragen, während er und Elisa sich an die Arbeit machen.
    »Was sind das für Leute?«, fragt Claudio.
    »Das sind Freunde von mir, was denkt ihr denn …«
    »Warum hast du uns nichts gesagt?«, fragt Fausto.
    » Ragazzi , das ist eine Übung! Es

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