Radio Miracoli und andere italienische Wunder
Elisa.
»Ja, ja«, meint Fausto.
»Wenden Sie sich mal an diese Adresse, der Chef wird Sie bestens beraten. An Ihrer Stelle würde ich nächste Woche …«
»Spätestens übermorgen. Mittwoch ist doch das Spiel!«
Verwundert lauscht Sergio der Schmierenkomödie, hält aber zum Glück den Mund.
»Gut, Kollege. Dann sollten wir jetzt besser los. Wir haben heute noch einiges zu erledigen.«
»Und das schriftliche Protokoll?«, fragt Sergio und platzt in die Stille hinein.
»Welches Protokoll? Halten Sie uns etwa für gierige Aasgeier? Wir haben doch alle ein Interesse daran, dass Ihre Geschäfte gut anlaufen. Wollen Sie sich vielleicht als Erstes gleich ein Bußgeld von zweitausend Euro einhandeln? Wir haben Sie mündlich auf die Ordnungswidrigkeiten aufmerksam gemacht, Sie beseitigen sie, und damit hat sich der Fall.«
Sergio lässt sich nichts anmerken, und der Polizist, dem offenbar jeglicher Selbsterhaltungstrieb fehlt, tritt vor ihn und kneift ihn in die Wange.
»Wir meinen es doch nur gut mit Ihnen … Man sieht sich«, sagt er zu ihm.
46
Abus plötzliches Erscheinen erstickt Elisas neugierige Fragen nach der Posse mit den Polizisten im Keim. Unser schwarzer Freund ist in einer erbärmlichen Verfassung, er ist müde und zum Fürchten mager. Sein Arbeitgeber hat ihn um seinen Lohn betrogen, und als Abu sich dagegen wehrte, hat er ihn von zwei Vorarbeitern verprügeln lassen. Seit zwei Wochen will ihn keiner mehr beschäftigen. Erst auf Sergios Nachfrage, warum er sich seit einiger Zeit nicht mehr bei uns blicken lässt, ist Abu mit dieser Erklärung herausgerückt – nüchtern und ohne an unser Mitleid zu appellieren. Vito und Elisa sind daraufhin sofort in die Küche geeilt, um für ihn etwas vorzubereiten. Die Gier, mit der Abu sich auf das Essen gestürzt hat, hat mir die Kehle zugeschnürt.
Claudio, Sergio und ich haben uns diskret in den Wohnraum zurückgezogen, um die Sache zu besprechen. Unser leises Gemurmel wird dabei überlagert von Faustos Stimme, der sich seit einer Stunde am Telefon mit dem Webdesigner herumstreitet, der angeblich sein Freund ist, aber nichts davon hören will, dass er die neuen Fotos umsonst ins Netz stellen soll.
»Wir müssen Abu sofort für seine Arbeit am Dach bezahlen«, sagt Sergio.
»Wie viel Geld haben wir noch?«, frage ich Claudio.
»Abzüglich der Kosten für den Flachbildschirm … für die neue Waschmaschine und den Rasenmäher bleiben uns der Etat für die Lebensmittel, der Etat für die Werbung und der Etat für das Einweihungsfest.«
»Und das ist alles?«, frage ich.
Fausto stürmt wutentbrannt auf uns zu.
»Dieser Hurensohn verlangt dreitausend Euro zusätzlich … und nicht nur das! Er will sofort die erste Rate haben!«
»Warte, Fausto, wir haben noch ein anderes Problem. Gerade ist Abu gekommen. Er braucht dringend sein Geld«, erklärt Sergio.
»Hah! Sonst reißt er das Haus ein! Ich habe es doch gewusst!«, höhnt Fausto mit seinem unverschämten Grinsen.
Ich deute mit dem Kopf in Richtung Küche und Abu. Faustos Blick folgt mir. Der Afrikaner sitzt tief über den Teller gebeugt. Rasch hebt er ein Stück Fleisch auf, das auf die Tischdecke gefallen ist, und schiebt es sich in den Mund.
»Was, zum Henker, ist denn mit dem passiert?«, fragt Fausto.
Das Grinsen ist ihm vergangen.
»Sie haben ihn zusammengeschlagen, und er hat seit Wochen keine Arbeit mehr«, antworte ich.
»Und warum ist er nicht früher gekommen?«
»Vielleicht hat er geglaubt, dass wir dann schlecht über ihn denken würden …«
Fausto steckt den Schlag mannhaft ein. Das sieht ihm gar nicht ähnlich. Normalerweise kontert er mit einer Aggressivität, die direkt proportional zu seinem Fehlverhalten steht. Er schaut mich an, ohne etwas zu sagen, nickt und geht in die Küche.
» Ragazzi , Abu hat eine tolle Idee!«, sagt Elisa, als sie uns sieht.
»Warum bist du nicht früher gekommen?«, fährt Fausto Abu an.
Der Afrikaner lächelt verhalten.
»Wollt ihr seine Idee denn nicht hören?«, fragt Elisa.
»Natürlich«, sage ich.
»Da wir zu viel Geld für Lebensmittel ausgeben, schlägt Abu vor, einen Gemüsegarten anzulegen!«
Unser verblüfftes Schweigen lässt tief blicken. Jahrtausendelang wäre einem Menschen beim Anblick dieser fruchtbaren Erde nur eines eingefallen: ein Gemüsegarten. Schon aus reinem Überlebenstrieb. Wenige Jahrzehnte des Wahnsinns haben jedoch genügt, um unsere DNA in diesem einen wichtigen Punkt zu verändern. So war unser erster Gedanke
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