Radio Miracoli und andere italienische Wunder
setzen. Als Elisa ins Haus zurückkommt, geht sie wortlos an mir vorbei. Mehr als ich interessiert sie das Geschrei, das aus der Küche dringt.
»Was erwartest du von mir? Soll ich vielleicht Geld von meinen Freunden verlangen?«, brüllt Sergio.
»Eine kleinen Nachlass hätte ich ja noch verstanden, aber ihnen das ganze Mittagessen zu schenken … das ist doch der helle Wahnsinn! Wer sind wir denn – die Liga zum Schutz verhungerter Filzläuse?«, erwidert Fausto.
Elisa schnaubt und zieht sich in das obere Stockwerk zurück. Ich dagegen lege mich auf das Sofa und mache mir Gedanken über die fließende Grenze von Traum und Realität.
49
Dieses Mal ziehen wir zu viert zum Holzholen los. Das Haus ist feucht, und wir benötigen reichlich Vorrat, um die Kamine länger beheizen zu können. Mit unserem treuen Renault fahren wir über die Felder, bis wir zu einem vertrockneten Baum kommen. Er ist der letzte in der näheren Umgebung. Beim nächsten Mal müssen wir schon bis zum Wäldchen weiterfahren. Vielleicht bilde ich es mir ja nur ein, aber mir scheint, dass wir als Team inzwischen beträchtliche Fortschritte gemacht haben. Nach ein paar Stunden, in denen wir ohne Pause und ohne zu lamentieren schuften, steht der Baum nackt und kahl ohne Äste und Zweige da. An jeder Hand habe ich vier zarte Schwielen und bin auch noch stolz darauf.
Wir laden den Kofferraum voll und fahren zum Hof zurück. Vielleicht wäre es besser, uns aufzuteilen – zwei kümmern sich um den Abtransport, während die anderen beiden den Baumstamm zersägen –, aber mit dem Auto querfeldein zu fahren macht irrsinnig viel Spaß, und darauf will keiner verzichten. Bevor wir das Holz ausladen, gehen wir in die Küche, um uns etwas zu trinken zu holen. Dort stoßen wir auf Vito, der völlig außer sich ist und wild zu gestikulieren beginnt, kaum dass er uns erblickt.
»Was ist passiert?«, fragt Sergio.
»Sie ist auf und davon … sie ist uns auf die Schliche gekommen«, stößt Vito hervor.
Die Nachricht erwischt uns kalt. Wir zögern einen Moment, ehe wir glauben können, dass er tatsächlich von Elisa spricht.
»Wie konnte das passieren?«, fragt Sergio.
»Mir ist aufgefallen, dass die Tür zur Küche nur angelehnt war, daraufhin bin ich in den Gang hinunter, und dort habe ich sie vor dem Spion in der Kellertür entdeckt … Sie hat alles gesehen.«
»Wann ist sie weg?«, fragt Sergio.
»Vor einer Stunde ungefähr … sie ist auf und davon, ohne ein Wort zu sagen. Ich habe noch versucht, sie aufzuhalten, aber sie war stinksauer.«
»Los, wir fahren zum Bahnhof. Wenn sie niemand mitgenommen hat, ist sie vielleicht noch dort!«, schlage ich vor.
Wir springen ins Auto, geben Vollgas und holpern von Schlagloch zu Schlagloch. Gleich nach der Kurve sehen wir Elisa uns entgegenkommen. Sergio tritt zwanzig, dreißig Meter vor ihr auf die Bremse, und Fausto beugt sich zum Fenster hinaus.
»Gott sei Dank bist du wieder umgekehrt, Elisa … wir können dir alles erklären!«, ruft er.
Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und steige aus dem Wagen. Ich mache ein paar Schritte auf sie zu, vergebens ihren Blick suchend.
»Elisa …«
»Halt die Klappe!«, zischt sie.
Aufgeregt gestikulierend geben die drei im Auto mir zu verstehen, dass ich ihr folgen soll.
»Elisa?«
»Hm!«
Entschlossen setzt sie ihren Weg fort. Ich folge ihr in einigen Metern. Sergio und die anderen fahren in sicherem Abstand hinter uns her.
»Ich will nichts wissen!«, ruft sie mir zu, ohne stehen zu bleiben. »Nicht ein Wort!«
»Elisa, jetzt hör doch mal …«, stammle ich.
»Das heißt, eine Sache will ich doch wissen! … Woher, zum Teufel, kommt diese Musik?«
Ich versuche es mit einem beruhigenden Lächeln, auch wenn Elisa mir den Rücken zuwendet und mich nicht sehen kann.
»Das ist ganz einfach, die Musik …«
»Klappe! Ich habe gesagt, ich will nichts hören!«, schreit sie, inzwischen vollkommen außer sich.
Die Jungs wollen von mir wissen, wie es läuft. Genervt von ihrer Dummheit, recke ich triumphierend einen Daumen in die Höhe. Die beiden grinsen und seufzen erleichtert. Was für Idioten.
50
»Das ist die Sinfonie Nr. 9 von Dvo r ˇ ák … die Serenade für Streicher«, erklärt Vito mir.
Nachdem sie sich den ganzen Tag in ihr Zimmer eingeschlossen hatte, sitzt Elisa nun reglos draußen in der Kälte auf dem Rasen. Vito und ich beobachten sie vom Küchenfenster aus, verborgen hinter dem Vorhang wie zwei alte Weiber.
Ich seufze. »Sie ist
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