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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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ich. Zitternd schluckte
     ich die Hälfte von meinem Bier, um zu überdecken, wie aufgeregt ich war. Ein paar Gespräche wurden unterbrochen, ein paar
     Köpfe drehten sich zu mir.
    |75| Er kam zurück, baute sich vor mir auf, wie er das wahrscheinlich immer tat, wenn er einen unliebsamen, hackestrammen Gast
bitten
wollte, doch die Lokalität zu wechseln, strahlte die Autorität desjenigen aus, der fraglos am weitaus längeren Hebel sitzt.
    »Was?«
    Ich blickte hoch, diesem Menschen in die Augen, und sah es überdeutlich vor mir, wie er sich zwischen Nicas Beine zwängt,
     ein faltiges Kondom auf der grauen, halbschlaffen Bumswurst, während meine Schwester …
    »Sie ist meine Schwester, verdammt«, sagte ich, gegen Tränen ankämpfend. Mit jedem auf der Welt hätte ich in diesem Moment
     meine Gefühle teilen wollen, nur nicht mit ihm, diesem Nichts, diesem Ekeltyp, diesem Gegengeldbumser.
    Er zog die Augenbrauen hoch, grinste fies. »Und? Hast du gedacht, daß du
Rabatt
kriegst?«
    Danach wurde es unschön. Meine Erfahrungen mit derartigen Auseinandersetzungen beschränkten sich auf Saloonszenen in alten
     Cowboyfilmen. Jedenfalls saß ich kurz darauf vor der Tür, im wahrsten Sinne des Wortes – unverletzt, weitgehend, und sogar
     ein bißchen gutgelaunt, ganz plötzlich. Zwanzig Meter weiter sah ich eine nette Gardinenkneipe, eine von denen, in denen ein
     Bier
und
ein Korn zweifünfzig kosten.

|76| 9. Learning To Fly
1985
    Frank wollte vom
Offenen Kanal
nichts wissen. Er stand neben mir am Tresen des
Your Sound
, fuddelte an seinem dünnen gelben Lederschlips herum, während er die
Billboard Hot 100
der vergangenen Woche durchsah und wie üblich mit Kommentaren wie »Wird nix«, »Absteigender Ast« oder »Super produzierte Nummer«
     versah – meistens hatte er recht.
    Mir ging’s nicht so riesig gut, ich hatte ein paar Stündchen in der Gardinenkneipe verbracht, und obwohl es inzwischen früher
     Nachmittag war, schmeckte ich die Nacht noch, und meine Hände zitterten, meine Augen hatten Schwierigkeiten, zu fokussieren,
     und außerdem war mir alles egal. Ich dachte an Veronika,
Nica
, hatte die Sache mit dem
OK
nur erwähnt, um wenigstens
etwas
zu erzählen, wollte mir irgendwas vornehmen in Sachen große Schwester, wußte aber nicht im entferntesten, was genau. Natürlich
     wollte ich nicht mit Frank darüber reden. Vielleicht später, viel später, nach dem zigsten Bier. Auch unwahrscheinlich. Jedenfalls
     nicht jetzt.
    »Andererseits«, sagte Frank – und dann nichts mehr. Er studierte weiter die amerikanischen Charts. Er sagte gerne ›Andererseits‹,
     auch, wenn dann keine andererseitigen Argumente folgten. Jetzt allerdings ließ er das Schlips-Gefuddele, schob die Liste weg
     und sah mich an.
    »Die haben wirklich gute Produktionsmöglichkeiten. Verhältnismäßig. Bessere, als du hast. Man könnte Demos produzieren, richtig
     mixen, schneiden, Effekte einbauen. Richtig gute Tapes machen.«
    Ich nickte. Als ich mit Nicken aufhörte, schwabberte das Bild vom Laden noch ein bißchen, dann wurde es ruhig.
    »Ich werde das mal abchecken«, sagte Frank.
    |77| Ich sah ihn an, wunderte mich, daß ich mit diesem Typen so gut konnte, diesem Spinner, der keinen Geschmack hatte, hoffnungslos
     den Trends erlag, und mit dem mich eigentlich nur verband, daß er eine irre Menge über Musik wußte und mit mir soff und arbeitete.
     Frank war tatsächlich mein Freund, wurde mir in diesem Moment bewußt. Auch wenn ich das meiste von dem, was er mochte, tat
     und träumte, eigentlich ablehnte, war das ein beruhigender Gedanke. Es verdrängte das tobende, quälende Gefühl um Veronika
     ein wenig. Ich lächelte ihn an.
    »Mach das mal«, sagte ich.
     
    Eine Woche später gingen wir gemeinsam zu einem Einführungsabend. Die Leute vom
Offenen Kanal
machten das mehr oder minder regelmäßig für diejenigen, die sich in die wunderbare Welt der elektronischen Medien stürzen
     wollten, ohne die allergeringste Ahnung von der Technik zu haben, geschweige denn davon, wie und was man tun mußte, um ein
     Publikum zu erreichen, aber darum ging es bei der Veranstaltung auch nicht. Wir waren zu sechst, Frank, ich, drei andere Kandidaten
     und Vera, wie Liddy Publizistikstudentin, die beim
OK
jobbte und die Veranstaltung leitete. Da es um Radio ging, verlief der Abend recht blutarm: Vera zeigte und erklärte das Mischpult,
     die Plattenspieler und Bandmaschinen, die Schneidegeräte, die Cartmaschinen. Sie spielte ein paar

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