Radio Nights
zu.«
»Es ist ziemlich peinliche Scheiße, was da läuft«, grummelte ich, fand aber gleichzeitig Gefallen an der Idee: Gute Technik
war ein wichtiges Argument, und außerdem hätte ich die Chance, mich zu beweisen, um so leichter, da die Konkurrenz nur gequirlten
Dreck produzierte.
Veronika sah auf die Uhr.
»Ich muß los, Donny, leider – hab’ doch noch einen Termin für heute abend reinbekommen.«
Sie erhob sich.
Ich brachte es tatsächlich heraus: »Ein Freier?«
Sie nickte langsam. »Wir sagen
Gast
. Oder
Kunde
.« Das Lächeln war jetzt mehr als gequält.
»Nicht
Freier
?« Dieses Gespräch wollte ich nun wirklich nicht führen, aber ich hatte ja angefangen.
|73| »Nein. Niemals.« Sie sah mich an, ihr dickbemaltes Gesicht spiegelte wider, daß sie selbst darüber nachdachte, was aus ihr,
aus uns geworden war, über Vergangenheit, Familie, Entwicklungen, Träume, diese Sachen. »Laß gut sein«, bat sie, drückte mich,
nebelte mich mit Parfüm ein, machte gleich darauf eine Geste zum Barmann, eine Schreibbewegung in der Luft:
Geht auf meinen Zettel
, hieß das. Der Barmann deutete ein Nicken an, gerade so, daß es erkennbar war. Und dann war sie verschwunden. Einen Moment
lang hing ihr Duft, der Duft ihres Parfüms noch in der Luft, und dann war ich allein.
Für ein paar Minuten saß ich einfach so da, nippte an meinem Bier, glotzte in die Gegend, ohne groß was wahrzunehmen, und
dann kam die Nachricht mit voller Wucht an. Ich sah Veronika vor mir, laut gekonnt-gekünstelt stöhnend unter einem dieser
wabbligen Vertreter, oder unter diesem Wurstkopf von Barmann, der ging sicher auch zu den Nutten, zu den Nutten,
von denen meine Schwester auch eine war
. Meine Schwester, der einzige Mensch, mit dem ich verwandt war und der mir
trotzdem
irgendwas bedeutete. Überhaupt mein einziger Verwandter. Geschleift, zersetzt durch einen Job, der mehr Kraft kostete, als
ich mir vorstellen konnte, Bestandteil einer Welt, eines Gefüges, zu dem ich so viel Affinität besaß wie zu irgendeinem Buschvolk
in Südamerika – sorry, Pygmäen oder wie ihr heißt. Ich schämte mich in diesem Augenblick unglaublich für meine eigenen, zaghaften,
letztlich sehr lustlosen Versuche, mich als
Gast
oder
Kunde
in diesem Umfeld zu bewegen, und ich hatte panische Angst um Veronika. Nicht darum, daß ihr was passierte, etwa in der Kategorie
Prügel, Abzocke, ungewollte Specials, das gehörte sicher zu ihrem Tagesgeschäft. Nein: Darum, daß der Verlust unwiederbringlich
war, daß Veronika verlorenging unter dem vielen Parfüm, der Schminke, den wabbligen Vertretern, ekligen Barmännern, dem
Ficken gegen Geld
. Man kann behaupten, was man will – Sex ohne |74| Liebe hat immer etwas mit Erniedrigung zu tun, und es zu machen, weil einer zahlt, das zerbröselt die Seele. Da können mir
die Leute sonstwas erzählen von wegen Verantwortung für den eigenen Körper und diesen ganzen Soziologendünnschiß. Sollen doch
die Soziologen alle mal ein paar Monate auf den Strich gehen und sich so richtig rannehmen lassen, mit allem Drum und Dran.
Und
dann
weiterreden.
Der Gedanke, Veronika irgendwie zu helfen, war immer noch präsent, kam mir aber plötzlich ungeheuer albern vor: Sie war älter
als ich, sie war intelligent genug, sie wirkte so gefestigt und sicher, bei aller Quälerei, die das Treffen mit mir in dieser
Hinsicht mit sich gebracht hatte. Ich winkte dem Tresenmenschen, der mich absichtlich ignorierte, bis ich wie ein bescheuerter
New Yorker Freak mit beiden Armen wedelte, und bestellte noch ein Bier.
Er brachte es, wieder zwischen zwei Fingern balancierend, weil Wein-und Cocktailtrinker schließlich Genießer sind, egal,
wieviel sie tanken, aber Bierkonsumenten einfach nur
Säufer
, und er sagte aufgesetzt-mitleidig grinsend: »Nica nimmt nicht jeden, Jungchen, sei nicht traurig. Sie kann es sich immer
noch aussuchen.«
Ich starrte ihn an, versuchte die Botschaft in dem zu finden, was er da faselte. Bis mir aufging, wen er meinte. Nica. Immerhin
nannte sie sich nicht Madeleine, Evelyne oder so. Sondern schlicht
Nica
. Der Kosename, auf den niemand in unserer Familie gekommen war. Sie hatte mich immer Donny genannt, aber ich hatte nie in
Erwägung gezogen, ihren Namen zu verniedlichen.
Als ich meine Fassung wiedergefunden hatte, war er schon auf dem Weg zum Tresen.
»Weißt du, du ekliger Schwabbeltyp mit deiner peinlichen kleinen Bar – du mußt es ja wissen«, brüllte
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