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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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vielleicht ein paar hundert Leute. Mach keine Live-Sachen, nimm keine Zuhörer rein, das ist zu gefährlich, es rufen
     nur Psychopathen an. Halte dich an ein Konzept, schreib dir die Moderationen auf, plane die Zeit. Dann kann es gut werden,
     und du kannst die Sendung als Demo benutzen. Alles andere ist verschenkte Zeit.«
    Ich nickte. Sie lächelte mich an, blinzelte. Dann küßten |80| wir uns, was seltsam war, unwirklich, weich – und ein wenig behindert durch das Gedankenfeuerwerk in meinem Kopf. Es war schön,
     wenn auch nicht berauschend, irgendwie behaglich, doch das Gefühl des Verrats blieb. Dann hatten wir Sex, auf der Wildledercouch,
     die sich aufklappen ließ, und ich spürte mehr von den Ritzen und Kanten des Bettes als von mir in Vera oder Vera mit mir in
     sich oder so. Aber es war okay,
irgendwie
. Nicht toll, aber angenehm. Man könnte daran anknüpfen, wenn man wollte, dachte ich mir, während ich dem leicht fiependen
     Atemgeräusch der schlafenden Publizistikstudentin lauschte, und dann zog ich mich doch leise an und machte mich vom Acker.
     
    Letztlich schlug ich sowohl Veras als auch Franks Vorschläge in den Wind und beschloß, eine Live-Sendung zu machen. Ich besuchte
     Vera im
OK
und buchte den Termin auf Mitternacht um.
    » Mitternacht
? Willst Du überhaupt keinen Hörer erreichen?«
    Ich grinste, ein bißchen verlegen, weil die Terminverlegung nicht der einzige Grund war, aus dem ich aufgetaucht war.
    »Ich will eine Live-Sendung machen, und ich will, daß es authentisch wirkt. Eine Nachtsendung. Meiner Meinung nach ein stark
     vernachlässigter Bereich. Bitte.«
    Als hätte es ihrer Zustimmung bedurft.
    Sie verzog das Gesicht, blätterte durch die Dispositionslisten.
    »Kommenden Sonntag, ab zwölf, in der Nacht auf Montag.«
    »Klasse.« Ich nickte, einfach nur, um irgendwas zu machen, während Vera mich ansah.
    »Ich habe gleich Pause«, sagte sie genau in dem Moment, in dem ich sie danach fragen wollte.
    »Klasse«, wiederholte ich. »Laß uns irgendwo einen Kaffee trinken gehen.«
    |81| Wir gingen in ein Café, Selbstbedienung, Plastiktische. Vera holte sich Kaffee und ein Croissant, ich nahm Wasser. Dann saßen
     wir uns eine Weile stumm gegenüber, Vera knabberte an ihrem Backwerk. Ich überlegte, wie ich es anfangen sollte, und beschloß,
     gleich auf den Punkt zu kommen.
    »Mmh. Ich weiß nicht ganz, wie ich es sagen soll«, begann ich.
    »Aber
was
du sagen willst, weißt du schon, oder?« konterte sie.
    Ich nickte.
    »Etwas in der Art von ›Es wird nichts mit uns beiden‹?«
    Ich nickte wieder, zaghaft, schlug die Augen nieder, was ich für eine passende Geste hielt. Immerhin war es das erste Mal,
     daß ich mich von einer Frau zu trennen versuchte.
    »Ist okay«, sagte sie. »Ich habe auch keine große Lust auf Beziehungen, im Moment.«
    »Aha.«
    »Was ist es bei dir?«
    »So ähnlich.«
    »Eine, an der du noch hängst?«
    »Sozusagen.«
    »Kann ich gut verstehen.«
    Und vorbei. Wir saßen noch ein paar Minuten, quatschten ein wenig über Radio, die ersten Anzeichen dafür, daß es bald mit
     Privatsendern losgehen würde, über die Hirnis, die Sendungen beim
Offenen Kanal
produzierten,
Freakshows
, wie Vera das nannte, diese Dinge – unerschöpflicher Vorrat für ihre Diplomarbeit zum Thema. Wir trennten uns im guten, wie
     man so schön sagt, und ich war froh darüber, aber gleichzeitig ein wenig deprimiert wegen meiner Gründe. Schließlich war es
     absolut aussichtslos, Liddy wiederholen, wiederaufleben lassen zu können. Es war zu lange her, meine Erinnerung beschönigte
     sicher vieles, und mit tausendprozentiger Sicherheit war Liddy inzwischen in so festen Händen, daß sie sich nicht einmal mehr
     an meinen Namen erinnern
durfte
.
     
    |82| Es war nicht so, daß nach meiner Sendung –
Nightpeople
hatte ich sie genannt – Krisensitzungen bei den öffentlichrechtlichen Sendern stattfanden. Ich fuhr ein zweistündiges Programm,
     spielte nette, ungewöhnliche Musik (B-Seiten von Fischer-Z-Singles, solche Sachen, und natürlich Jackson Browne), redete über
     dies und das und nahm tatsächlich ein paar Hörer rein, nachdem ich begriffen hatte, wie man den Telefonhybriden aktivierte,
     um live mit Leuten sprechen zu können. Ganze sieben Menschen riefen an, ausschließlich männlich, davon brüllten drei unverständliches
     Zeug, mit den anderen unterhielt ich mich ein wenig, und diese vier bedankten sich ausgiebig für das nette Gespräch und die
     ungewöhnlich

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