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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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sie, zog das Mikro wieder runter und tauschte den abgelaufenen Titel gegen den nächsten. Dann
     schob ich den Kopfhörer wieder in den Nacken.
    »Hi«, sagte ich.
    Er stand wieder auf, beugte sich über den Sprechertisch, der seitlich neben meinem Pult stand und auf dem ein Haufen Platten
     und meine unvollständige Lizenzliste lagen.
    »Hallo. Helmut Vögler, Vögler wie
ficken
.« Er grinste breit.
    |109| Ich lachte: »Angenehm, Donald Kunze, Kunze wie
bumsen

    Wir lachten beide.
    »Hast du nach der Sendung ein paar Minuten Zeit?«
    Er setzte sich wieder. Anfang Dreißig, schätzte ich, ein bißchen milchig, etwas Sonnenbank täte gut. Solides Outfit, jedenfalls
     teilweise.
Du
? Meine Hörer duzten mich, aber er sah nicht wie ein typischer Fan aus. Natürlich duzten sich alle Radioleute, oder die meisten,
     bis auf diejenigen, die sich für etwas Besseres hielten. Diejenigen, die meinten, eigentlich zum Fernsehen zu gehören. Auf
     der Durchreise, sozusagen.
    Ein Radiomensch also.
    »In welcher Sache?«
    »Privatradio.«
    Oha. Eine der raren
terrestrischen
UKW-Frequenzen war gerade wieder frei geworden, das Großverlagskonsortium hatte sich an der immanenten Frequenzverstopfungspolitik
     ein bißchen verschluckt, wie auch schon in anderen Bundesländern, und das so kurz vor der Maueröffnung, der sicherlich anstehenden
     Verdoppelung, vielleicht sogar Verdreifachung der zahlungskräftigen Zielgruppe, rechnete man den erreichbaren Teil von Brandenburg
     mit. Was noch keiner tat: Lag ja erst zehn Tage zurück, die Maueröffnung.
    Ihr scheinbar ambitioniertes und wortanteilsreiches Mainstream-Radioprojekt
Berlin One
war nach einem halben Jahr so tief im Quotenkeller versackt, daß sogar die eigenen Werbeabteilungen der Verlage Werbezeiten
     storniert hatten, und das trotz nie dagewesener Plakat-und Anzeigenkampagnen, superteure Gewinnspiele und Studios in
Star Trek -
Qualität. Keine Sau hatte das Programm hören wollen. Wen interessiert es schon, wie teuer die Studios waren? Und wer erklärt
     mir irgendwann einmal, wie viele Hörer man mit scheißgläsernen Studios hinzugewinnt?
    Gerüchteweise gab es vier Bewerbergruppen um die freie UKW-Frequenz 101,1 MHz, darunter war interessanterweise |110| wieder eine Gruppierung von Großverlagen (Insider informationen zufolge mit nur geringen Chancen; die erste Vergabe an Großverlage hatte das politische Soll erfüllt), zwei waren angeblich
     ökologisch-anarchistische Grüppchen aus dem weiteren Umfeld der fundamentalistischen Grünen, die Radio als »basisdemokratisches
     Solidarmedium« etablieren wollten, die Doppelbewerbung unter verschiedenen Namen sollte die Chancen erhöhen, erreichte aber
     das genaue Gegenteil. Um die vierte Gruppe kursierten noch mehr Gerüchte, als es damals, 1985, um den Clan Jungunternehmer
     – hauptsächlich aus der Baubranche – gegeben hatte, die schließlich
Boulevard Berlin
ins Leben gerufen hatten und noch immer betrieben, recht erfolgreich sogar. Nach dem, was ich wußte, sollte die vierte Bewerbergruppe
     von einer amerikanischen Kette gesteuert sein. Ich hielt das für unwahrscheinlich. Jedenfalls gab es um den vierten Bewerber
     fast ausschließlich Gerüchte, der frequenzvergebende
Kabelrat
hielt sich noch bedeckt, die Ausschreibung lief.
    Vielleicht also saß die vierte Gruppe gerade vor mir.
    Ich nickte.
     
    Als die Sendung zu Ende war, räumte ich meine Platten auf und vervollständigte die Lizenzliste – in meinem kleinen Bürokabuff,
     das Studio wurde natürlich für die nächste Sendung benutzt. Nach den Nachrichten, die ein weiterer Sprecher aus einem gesonderten
     Studio verlas.
Öffentlichrechtliche
. Immer ein guter Grund zum Kopfschütteln.
    Vögler stand hinter mir, sah mir über die Schulter.
    »Blöde Arbeit, was?«
    Ich brummte zustimmend. »Aber halb so wild. Ich schreibe sowieso nicht alles auf, was ich
wirklich
gespielt habe. Sondern meistens die gleichen Titel, bei denen ich die Daten schon aus dem Kopf weiß. Länge, Komponisten, diese
     Dinge.«
    »Stressiger Job?«
    Ich lachte. »Nein.« Ich räusperte mich. »Also, na ja, im |111| Moment schon. Seit letzter Woche ist natürlich die Hölle los. Hatte keiner mit gerechnet.«
     
    Aber es war schon irgendwie toll. Am zehnten November hatten fünfunddreißig Zonis in meinem Studio gehockt, Hunderte weiterer
     hatten wir abweisen müssen; sie saßen auf dem Fußboden, schlürften Cola aus Dosen und flennten ganze Sturzbäche vor Glück.
     Mir waren auch

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