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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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größte, beste und originellste DJ seiner Zeit. Aber der legendärste. Ohne Wenn und Aber.
    Grinsend ergänzte ich: »Obwohl ich es natürlich gewöhnt bin, beschenkt zu werden.«
    »Wie gefallen dir diese hier?«
    Er legte zwei längliche Aufkleber neben diejenigen von XERF-AM, etwa doppeltes Postkartenformat, nebeneinandergelegt. Sie
     zeigten einen Comic-Neandertaler, der eine E-Gitarre schwang, als wäre es eine Keule. Daneben stand in markigen Lettern:
     
    101.1 FM PowerRock Berlin. Blowing your head off.
     
    »Wow«, wiederholte ich.
» Blowing your head off
.« Klang irgendwie gut.
    Ich blickte ihm in die Augen, die seltsamerweise nicht mitlächelten, |114| obwohl sein Mund breitgezogen war und er blendend intakte Zähne zeigte. Sein Gesicht hatte etwas Puppenhaftes, wie eine Maske.
    » Ich
bin die vierte Gruppe«, erklärte er mit einem Unterton, als wäre er ein gedankenlesender Zauberkünstler, der dem Mann in der
     siebten Reihe erzählt, was der in seiner Brieftasche hat.
    Ich nickte, hob mit der Gabel ein Stück Tortelloni aus der Soße, es vorsichtig am stinkenden Käse vorbeimanövrierend, den
     Bennos Koch selbst dann draufkleisterte, wenn man schriftlich und in dreifacher Ausfertigung beantragt hatte, keine Käsekotze
     zu wollen.
    »Ist das nicht ein
bißchen
voreilig?«
    »Sogar ziemlich. Aber Aufkleber kosten weniger als ein Studio, ein Team und eine komplettes Programmkonzept, und auch das
     muß man vorweisen können, um an eine Frequenz zu kommen. Ich weiß, was ich machen will – einen donnernden, anspruchsvollen
     Sender, musikalisch hauptsächlich rockorientiert. Ich kann die Kohle besorgen, und ab übermorgen habe ich Studios. Konkursmasse.«
     Er grinste ziemlich böse. »Mir fehlen nur noch die richtigen Leute.«
    Mit dem Löffel versuchte ich, einen Berg Käsekotze am Rand des Tellers zusammenzuschieben. Man konnte nicht einmal auf Pizza
     ausweichen: Da war der gleiche Käse drauf. Zum x-tenmal nahm ich mir vor,
nie wieder zu Benno
zu gehen.
    »Und ich soll einer von diesen Leuten sein?«
    »Mmhmm«, begleitet von einem zustimmenden Nicken.
    »Warum?«
    »Deine Sendungen sind erstklassig. Du weißt, was du tust, du weißt, was du sagst. Deine Musikauswahl ist brillant. Jedenfalls
     der Teil, der nicht eindeutig zur Rotation gehört. Deine Stimme ist die
beste
in der ganzen Stadt, dein
Timbre
sucht seinesgleichen, bundesweit. Und ich habe
American Radio
gelesen.«
    Meine Artikelserie. Hatte ziemliche Wellen geschlagen. |115| Tenor: Deutsche machen Privatradio genauso, wie sie Altenheime betreiben, verglichen mit Amerika. Hauptsache, die Verwaltung
     stimmt und die Vorschriften werden eingehalten. Meine zwölf Monate USA verarbeitet. Ein anderer Planet. Ein anderes Universum.
     Obwohl die auch nicht alles richtig machten.
Deutschland ist zwanzig Jahre zurück, im Vergleich mit den Staaten
, das war die entschuldigende Erklärung, die viele benutzen, aber den
Grund
dafür lieferte niemand.
    » Boulevard
wird überleben«, erklärte ich kauend, fast zu mir selbst, während ich das schlechtschmeckende Chaos auf dem leicht angeschlagenen
     Nullachtfünfzehn-Italiener-an-der-Ecke-Teller betrachtete. »Jedenfalls mittelfristig. Bis die Hörer tot sind.«
    Er lachte, ich fuhr fort: »Die Öffentlich-rechtlichen werden zurückschlagen, vielleicht Spartenprogramme aufgeben, jugendorientierteres
     Radio machen, insgesamt gesehen. Weitere Sender werden kommen. Wenn es eine Wiedervereinigung gibt, sogar
viele
weitere. Es ist riskant.«
    »Keine Frage, das ist es. Innerhalb gewisser Grenzen. Aber ich will es anders machen.«
    »Das will jeder.« Ich schob den Teller weg, aus meinem Geruchskreis, zündete mir eine Zigarette an und winkte nach Benno.
     Mein Bier war alle.
    »Hörer binden. Mit den Menschen kommunizieren. Spaß machen, aber keinen gequälten
Wir-sind-ja-alle-so-lustig-Spaß
. Und
gute
Musik. Nicht die, die alle spielen.«
    »Hört sich ein bißchen dünn an.«
    Er nickte: »Ich weiß. Deshalb brauche ich dich. Als zweiten Mann.«
    Ich grinste, blies den Rauch in Richtung Decke. »Und was ist der erste für einer? Wer steckt hinter
PowerRock Berlin

    Er nickte langsam.
    »Meine Eltern haben mir ein bißchen Geld hinterlassen. Ich selbst habe Kunstgeschichte studiert, dann beim
Spiegel
volontiert, danach ein Tonstudio betrieben.«
    |116| »Tonstudio? Müßte ich das kennen?«
    » Chrystal Sound
, Hannover. Ich bin Niedersachse.« Er zog das Cover eines Millionsellers aus dem Timer.

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