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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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seltsame Ding.
     Sie lud mich zum Essen ein, für Sonntag, also morgen.
     
    Wir trafen uns bei einem Inder in der Goltzstraße, überhaupt nicht meine Ecke, viel zu laut, viel zu viele Touris, außerdem
     mochte ich indisches Essen nicht so richtig. Immerhin, Alicia wollte zu einem Inder, und bevor ich mich entscheiden konnte,
     hatte sie für sich schon allen möglichen vegetarischen Krempel bestellt. Sie sah nett aus, fühlte sich wohl in Berlin, das
     hatte sie mir am vorigen Abend erzählt, und dachte darüber nach, in der Stadt zu bleiben. Ich kam mir |106| ganz gut vor in ihrer Nähe, unbefangen, ohne jeden Druck, und dachte nicht im entferntesten daran, mit ihr etwas anzufangen.
     Mit der Tochter meines Stammkneipenwirts. Wir quatschten ein bißchen über den Sender, ich erzählte ein paar Anekdoten von
     besonders lustigen Hörern, vom unermüdlichen Puffgänger Lindsey, von unserem seltsamen Vögler wie ficken, von Hagelmacher
     – ich war einen Moment lang versucht, ihn anzurufen, wußte ja noch nicht, wie seine Mucke verlaufen war – und diesen Leuten
     und Dingen.
    Alicia erzählte ein bißchen über sich, Ernährungsphysiologin war sie, was auch immer das bedeutete, und sie machte was mit
     Sport, irgendeine Therapiesache, die ich nicht richtig mitbekam. Ich mokierte mich zaghaft darüber, daß Großbritannien sicher
     eine Armee von Ernährungsberatern bräuchte, bei dem Scheiß, den die da in den Restaurants servierten, Steak mit Minzsauce,
     dazu Erdbeeren und Senf und solche Sachen. Sie lachte laut, aber nett. Das muß so etwa der Moment gewesen sein, in dem ich
     mich verliebte.
    Zum ersten Mal seit Liddy dachte ich nur an die Frau, die vor mir saß, glaubte ich wenigstens, verglich sie nicht, betrachtete
     sie nur, hörte ihr zu, sog ihre Mimik und Gestik in mich auf, beobachtete ihre Mundwinkel, ihre Ohrläppchen, das fallende
     Haar, die Bewegungen ihrer Hände auf dem Tisch, ihre Oberlippe beim Trinken, die Art des Augenaufschlags, den rührenden klitzekleinen
     Rest Orangenschale unter dem Nagel ihres rechten Zeigefingers. Ich starrte ihr nicht auf die Brüste, ich versuchte nicht,
     ihren Hintern abzuschätzen, als sie zur Toilette ging. Das war mir egal. Also, nicht
wirklich
– es ist schon klasse, wenn eine tolle Frau
auch
einen tollen Arsch hat. Doch etwas anderes an Alicia hatte mich gefesselt, und das war, wie ich zu erkennen glaubte, eine
     Mischung aus ihr selbst, mir in diesem Moment und einigen anderen Dingen.
     
    Wir gingen danach ins
Irish Heaven
, bis um drei, halb vier saßen wir dort, der Laden war noch immer ziemlich voll, und |107| als wir fast zeitgleich verkündeten, langsam in die Falle zu wollen, fragte sie mich, ob sie zu mir mitkommen könnte. Bis
     dahin hatten wir uns noch nicht einmal geküßt, obwohl ich große Lust dazu verspürt hatte, allerdings definitiv nicht, während
     ihr Papa uns zuguckte. Wir taten es dann draußen vor der Tür und nicht viel später bei mir, praktisch ununterbrochen, bis
     ich am nächsten Abend in den Sender mußte.

|108| 13. We Built This City
1989
    »Da ist jemand für dich, Kunze«, sagte Karo, der krausköpfige, meistens gelangweilte Techniker, der im Raum nebenan hockte
     und eigentlich nichts zu tun hatte, über meine Kopfhörer. Ich saß im Studio 2a des öffentlich-rechtlichen Radiosenders, für
     den ich fünfmal in der Woche eine dreistündige Nachmittagssendung fuhr. Viertel vor sechs. Noch fünfzehn Minuten, ich erwartete
     keinen Studiogast mehr. Die laufende Platte hatte noch zwei Minuten. Ich
cuete
die nächste, stellte sie so ein, daß sie mit dem
Faderstart
in Sekundenbruchteilen sauber beginnen würde, und drückte dann die Taste für die interne Verständigung: »Soll reinkommen.«
    Ich schob den Kopfhörer in den Nacken und sah zur Studiotür, schweres Metall, eine Doppelschleuse, die sich nicht öffnen ließ,
     wenn das
Rotlicht
leuchtete, das drinnen und draußen anzeigte, daß gerade ein Mikrofon offen war. Den kräftigen, strubbelhaarigen Typen, der
     da kam, erst gekünstelt-unsicher reinlugte und dann ziemlich schnell zum Pult kam, kannte ich nicht. Er lächelte irgendwie
     blaß. Noch dreißig Sekunden bis zum
Outro
, ich legte meinen rechten Zeigefinger auf die Lippen und deutete ihm an, die Tür zu schließen, das hatte er nämlich unterlassen,
     und sich leise hinzusetzen. Ich zog den Fader für das Mikro nach oben, als er saß, wartete ein paar Sekunden, moderierte die
     nächste Platte an, startete

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