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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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Hand hielt, mit Hagelmacher redete und dabei kicherte.
     
    In der darauffolgenden Woche passierten gleich zwei seltsame Dinge. Ich wurde zu einem Notar eingeladen, der mir erklärte,
     daß ich von Veronika geerbt hätte. Eine größere sechsstellige Summe. Das Geld, von dem sie sich irgendwann zur Ruhe setzen
     wollte. Es war eine erstaunliche, gleichsam nihilistische Erfahrung, vor diesem lustigen Männchen zu sitzen, das mich offensichtlich
     bewunderte und zwischendrin absichtlich ins Lächerliche gezogene Anspielungen darüber abließ, was für eine tolle Radiostimme
     er hätte (was sogar stimmte, aber er paßte definitiv nicht in unsere Zielgruppe) und mir im Anschluß formvollendet mitteilte,
     daß Veronika eine gute Drittelmillion hinterlassen hatte.
    Das Geld sagte mir nichts. Ich war zwar nicht reich, aber mir machte Kohle nichts aus, bedeutete mir überhaupt nichts, solange
     sie
nicht
dafür ausreichte, eine eigene Station zu gründen, und das war mit 300 Riesen plus noch mal der Hälfte, die mein Steuerberater
     irgendwo hortete, lange nicht drin. Aber diesen Gedanken hatte ich auch überhaupt nicht. Es war das Geld, das sich Veronika
     zusammengevögelt hatte, mit den Schwabbelbauchvertretern und Leuten wie dem ekligen Barmann aus dem Laden, in dem wir uns
     getroffen hatten, mit Siegfried Dierek möglicherweise, dem stellvertretenden |104| Programmdirektor, der mich auf ihre Bitte hin im
Offenen Kanal
gehört hatte. Nein, es war kein schmutziges Geld aus meiner Sicht, eher das Gegenteil davon: Das war das, wofür Veronika gelebt
     hatte, auf ein paar Zahlen reduziert, per Knopfdruck transferiert von irgendeinem Konto auf irgendein anderes Konto, und dann
     auf meines. Der Rest ihres Lebens. Alles, was von ihr übriggeblieben war. Ich war ratlos.
    »Was soll ich damit machen, Ihrer Meinung nach?« fragte ich das radioambitionierte Notarmännchen. Er hatte riesengroße Segelohren.
    Der Anwalt zuckte die Schultern. »Was soll ich Ihnen sagen? Es ist Ihr Geld, Sie können damit tun, was Sie wollen. Ausgeben,
     spenden, ein Haus kaufen, zwei Ferraris. Ich bin Notar, kein Steuer-oder Anlageberater.«
     
    Auf dem Heimweg dachte ich weiter darüber nach. Ich konnte mit dem Geld nichts anfangen, und ich
wollte
auch nichts damit anfangen. Ich hatte Veronika nicht geholfen, nicht helfen können, und wollte auch nicht, daß sie auf irgendeine
     Art, vor allem nicht auf
diese
, posthum unterstützend in mein Leben eingriff. Ich grübelte eine Weile. Zu Hause grub ich Franks Nummer aus, er lebte in
     Dortmund, also weder Duisburg noch Düsseldorf, auch egal. Er war überrascht, wir hatten lange nicht gesprochen. Ein paar Monate.
    »Wie laufen die Produktionsarbeiten?« fragte ich nach dem üblichen Weißt-du-noch-Eingangsgeplänkel.
    Er brummelte irgendwas.
    »Ist es eine Geldfrage?«
    »Nein«, erklärte er sofort. Pause. Dann: »Andererseits.«
    Und wieder eine Pause.
    »Scheiße,
was
andererseits?«
    »Wir haben zwei, drei richtig gute Bands, aber wir kriegen sie nicht unter. Eine, die heißt
Limited Frustrations
, die ist brandheiß. Aber die Plattenfirmen wollen nichts davon wissen.«
    |105| »Und was würde es kosten, ein eigenes Label zu gründen?«
    Er grübelte einen Moment lang. »Ein paar hunderttausend, keine Ahnung, wir laufen am Limit und machen uns solche Gedanken
     nicht. Hätten wir nicht ein paar Aufträge für Werbespots, Fremdproduktionen und solche Sachen, wäre das Studio schon dicht.
     Letzte Woche hatten wir einen
Schlagersänger
hier, verdammte Scheiße. Verkauft über zweihunderttausend Exemplare pro Album, und ich kannte nicht einmal seinen Namen.«
    »Gib mir mal deine Kontonummer.«
    Das tat er, ohne weiter nachzufragen, und dann palaverten wir noch ein wenig über alte und neue Zeiten. Wie immer. Frank schämte
     sich sogar jetzt noch ein bißchen für seine
Miami Vice
-Zeit, und ich hatte die belustigende Mühe, ihm sein schlechtes Gewissen zum x-tenmal auszureden.
     
    Am nächsten Abend, am Samstag, ging ich zu Miles, hatte eine Jubiliäumsfeier-Mucke bei einem Konzern aus persönlichen Gründen
     abgesagt, und weil kein anderer konnte, hatten wir – sicherlich zum großen Vergnügen der Veranstalter – Hagelmacher hingeschickt,
     den das sichtlich nervös stimmte, seine erste
Mucke
. Miles war im Streß, weil der Laden brechend voll war –
kleine Touristenschwemme
nannten wir das –, aber Alicia saß an der Bar, nahm ein paar Drinks mit mir, und dann passierte das zweite

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